Schlag weiter, Herz
die wichtigste Boxregel verinnerlicht hatte. »Schlagen kann jeder, nicht getroffen zu werden ist die Kunst.«
»Angriff ist die beste Verteidigung, sieht man auch bei Tyson«, sagte Mert.
Bei der Nennung des Namens versteifte Nadja kaum merklich.
»Beim Profiboxen geht es doch sowieso nur um Show«, sagte Felix.
»Immerhin ist die Show bei Tyson gut«, warf Nadja ein, »das kann man von Maske nicht gerade behaupten.« Sie intonierte »Time to say goodbye«. Dabei zog sie die Vokale ins Unendliche und tastete auf dem Tisch umher, als sei sie blind.
»Maske hat doch immer riesig Show gemacht«, sagte Felix.
»Das war ja gerade das Schlimme«, erwiderte Nadja. »Und dieses Geschwätz. Maske ist immer so ergriffen von sich selbst, dass es ihm schwerfällt, normal zu sprechen.«
Dass Maske unter seinen Boxkollegen beim HBC 21, beim Verbandstraining, eigentlich bei allen West-Boxern und im Speziellen bei Mert als Feigling galt, verärgerte Felix. Er hatte persönlich nicht mal viel für Maske übrig, aber immerhin stellte der sich in den Ring und riskierte wie jeder andere auch, geschlagen zu werden. Das alleine verlangte nach einem Mindestmaß an Respekt.
»Maske konnte boxen, da kann man wohl nichts anderes behaupten.«
»Boxen vielleicht, aber nicht kämpfen. Mit Maske hätte ich mich jederzeit in den Ring gestellt, der hätte mir nicht wehtun können«, sagte Mert.
»Aber du hättest ihn nicht erwischt.«
Angelika versuchte die Anzeichen eines Konflikts zu überspielen, indem sie betriebsam war. Sie deckte auf, erkundigte sich nach Wünschen für Beilagen, sah Nadja Hilfe suchend an. Nadja kämpfte den Reflex nieder, ihrer Schwägerin zur Hand zu gehen.
»Maske ist Michalczewski immer aus dem Weg gegangen, das hat auch seine Gründe«, sagte Mert nach einer langen Pause.
»Ach herrje, der deutsche Pole«, sagte Felix.
»Der hätte Maske weggehauen, keine Frage.«
»Das wissen wir nicht. Maske hat ganz andere Leute ausgeboxt.«
»Der hatte Schiss vor Dariusz.«
»Das glaube ich kaum.«
Angelika trug Essen auf. »Lixi, nun lasst doch mal eure Streitereien. Ich bin ja schon froh, dass ihr nicht mehr gegeneinander antreten müsst.«
Sie aßen Sauerbraten mit Reis, Spätzle als Beilage hatte Felix verboten. Als Mert ihm die Bohnen reichen wollte, erklärte Angelika: »Lixi mag doch keine Bohnen.«
Mert brummte wohlig, um Angelika zu zeigen, dass es ihm schmeckte. Für Felix war die Diskussion noch nicht beendet.
»Wenn ihr hier im Westen ein bisschen lernen würdet, wie Maske zu boxen, könnte es auch nicht schaden.«
»Was gibt’s denn da zu lernen? Weglaufen auf engstem Raum?«
Felix holte tief Luft, bevor er etwas erwiderte. »Kann ja sein, dass ihr hier vor der Wende die besseren Autos gebaut und die schöneren Klamotten getragen habt, aber wir haben Boxen mit System gelernt.« Er legte sein Besteck zur Seite, um die Bedeutung seines Vortrags zu unterstreichen. »Wir haben gelernt, immer noch zuzulegen, immer noch ein paar Schläge mehr zu schlagen. Hohe Frequenz, andauernde Arbeit. Die Führhand immer ein Stück länger schlagen als der Gegner, immer ein wenig schneller zurückziehen. Wir haben an den letzten Prozent gefeilt. Es ist nun mal so, dass man nur drei oder fünf oder sieben Prozent besser sein muss als der Gegner, um am Ende zu gewinnen. So haben wir das im Osten gelernt. Immer mehr leisten als der Gegner, immer ein bisschen schneller sein, nur so kannst du gewinnen. Immer drei Prozent mehr geben.«
»Und deswegen ist 1989 ja auch der Westen zusammengebrochen«, sagte Nadja.
Felix’ Mimik verrutschte. Mert beobachtete ihn, Angelika hielt die Luft an, Nadja nahm noch einen Bissen Sauerbraten. Es dauerte eine Weile, bis Felix sich nicht mehr gegen den Witz verteidigen konnte und seine Empörung überwand. Felix musste lachen. Die anderen durften auch.
Auf dem Heimweg regte sich in Mert das schlechte Gewissen.
Er umarmte und küsste Nadja, was sie verwundert annahm. Sie hatte Partei für ihn ergriffen, auf Kosten von Felix.
Ich hätte nicht mit Heike vögeln dürfen, dachte Mert, ich werde so was nie wieder tun.
Als Mert am Montagabend nach dem Training nach Hause kam, saß Nadja in der Küche auf einem Stuhl, nicht auf der Fensterbank. Mert kannte den Gesichtsausdruck. Sie trug ihn nach langen Streitereien, die sie nie zu einem guten Schluss führten. Es war keine Wut in ihren Augen zu sehen, nur Erschöpfung. Nadja war leer geweint.
Er setzte sich ihr gegenüber.
Mert fragte
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