Schlamm, Schweiß und Tränen
stets meine Grenzen ausgetestet und fühlte mich erst dann
lebendig, wenn ich alles gegeben hatte. Egal, worum es ging, ich war
nie der Schnellste, der Stärkste oder der Beste, aber gerade das stachelte mich ungeheuer an.
Ich war regelrecht süchtig danach, immer besser zu werden, und
stellte irgendwann fest, dass ich einiges an Reserven mobilisieren
konnte, wenn es nötig war. Eigentlich weiß ich gar nicht genau, wo
diese Sucht herrührte oder wie sie entstanden ist - aber sie war nun
mal da. Das ist eben das „Feuer", das in mir brennt.
Vielleicht hatte es damit zu tun, dass ich in dieser großen neuen
Welt nach meiner eigenen Identität suchte. Vielleicht hatte es mit den negativen Erfahrungen aus meiner Kindheit zu tun. Das kann ich
nicht genau sagen; was ich jedoch sagen kann ist, dass ich mehr und
mehr in der Lage war, Dinge zu tun, die sonst niemand in der Schule
tun konnte - und das fühlte sich echt gut an.
Klettern war eines dieser Dinge. Aber nicht etwa stinknormales
Klettern. Ich entwickelte eine Vorliebe dafür, nachts Kirchtürme und
die Dächer der höchsten Schulgebäude zu erklimmen.
Denn das machte mir so richtig Spaß.
Ich habe alle verbotenen Bereiche der Schule und des Schulgeländes erkundet, denn ich wusste ja, dass ich schneller und gelenkiger war als alle Sicherheitskräfte, die im und um das College patrouillierten.
Ich erinnere mich noch, wie ich eines Nachts versuchte, bis zur
Kuppel der Schulbibliothek hochzuklettern, die ganz oben auf einem
klassischen Bibliotheksgebäude in über 35 Metern Höhe thronte.
Die Spitze der Kuppel hatte eine Bleiverkleidung und war so glatt
wie Marmor, allerdings hatte sie auch eine klassische Schwachstelle -
den Blitzableiter, der seitlich am Gebäude entlanglief bis hinauf zum
Kuppeldach.
Sir Ranulph Fiennes, ein ehemaliger Schüler des Eton College,
hatte damals auch schon so seine Schwierigkeiten, diese Kuppel zu
erklimmen; doch schließlich hatte er es geschafft, indem er sich eine
improvisierte Trittleiter gebaut hatte, und das mithilfe vieler kleiner
Tischlerklemmen, die er sich quasi aus dem Schreinerschuppen der
Schule „geborgt" hatte.
Ich wusste, dass es möglich wäre, die Kuppel auch ohne den Einsatz derartiger „Hilfsmittel" zu erklimmen, vorausgesetzt, der Blitzableiterdraht würde mein Gewicht aushalten.
Die Nacht war hell und sternenklar, als ich meinen ersten Aufstiegsversuch wagte: Ich bewegte mich geschickt von Garten zu Garten, kletterte über Mauern, Durchgänge und Äste, um zur Rückseite
des Gebäudes zu gelangen. Ich hatte einen Komplizen mitgenommen,
meinen guten Freund Al.
Nachdem wir zunächst eine Reihe von Dächern überquert und
Regenrohre hochgeklettert waren, standen wir nur knapp fünf Meter vom Dach der Bibliothek entfernt, wo das Kuppeldach anfing. Doch
um auf das Kuppeldach zu gelangen, das gut und gerne 20 Meter
hoch ist, musste man zuerst ein vorstehendes, im klassischen Stil gehaltenes, schmales Dachgesims überwinden.
Auf Zehenspitzen standen wir, vorsichtig balancierend, oben auf
dem schmalen Ende eines Regenrohrs und mussten mit einem kräftigen Satz in die Höhe springen, um das schmale Gesims zu fassen zu
kriegen, damit wir unseren ganzen Körper auf das Gesims schwingen
und dann darüber klettern konnten.
Dazu brauchte man nicht nur eine gehörige Portion Mumm, man
musste auch absolut schwindelfrei sein.
Ein falscher Tritt und der Sturz in die Tiefe war lang, die Landung
hart - auf dem Beton.
Die Sicherheitskräfte der Schule hatten versucht, uns das Klettern
zu erschweren, indem sie rund um den unteren Rand des Kuppeldaches Stacheldraht angebracht hatten; auf diese Weise wollten sie sicherzustellen, dass derartige Kletteraktionen „unmöglich" würden.
(Wahrscheinlich wurde der Stacheldraht schon vor etlichen Jahren,
im Nachgang zu Ran Fiennes Kuppel-Eskapaden angebracht.) Doch
genau genommen hat mir der Stacheldraht beim Klettern viel eher
einen guten Dienst erwiesen, denn dadurch hatte ich wenigstens etwas, woran ich mich festhalten konnte.
Sobald man aber zum Kuppeldach vorgedrungen war, kam der eigentliche Knackpunkt dieser Klettertour.
Die Halterung der Blitzschutzleitung zu finden, mit der sie im
Kuppeldach verankert war, war der leichte Teil der Aufgabe, der ungleich schwierige Teil bestand jedoch darin, den Mut aufzubringen,
sich mit seinem ganzen Körpergewicht daran festzuklammern.
Aber sie hielt meinem Gewicht stand und es war ein
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