Schlangenblut (German Edition)
bestätigte Dunkin. »Ich habe versucht, ein Gespräch mit ihren Eltern zu arrangieren, aber« – sie zuckte mit den Schultern – »die hatten keine Zeit.«
»Hat sich Ashley Ihnen anvertraut?«
»Ich habe versucht, mit ihr zu reden, aber sie hat sich immer nur über ihre Kunst mitgeteilt. Diese Bilder hier sind vom Ende des letzten Schuljahrs. Dieses Jahr hatte ich eigentlich schon den Eindruck, dass es mit ihr wieder aufwärtsgeht.« Dunkin griff in einen Schrank und zog ein schweres, mit Wasserfarben bemaltes Blatt heraus. »Sie ließ die Acrylfarben und ihre dunklen Töne hinter sich. Das hier hat sie vor zwei Wochen angefangen.«
Burroughs wäre nie auf die Idee gekommen, dass das Aquarell vom selben Menschen stammen könnte. Auf dem Blatt fanden sich zwei in den richtigen Proportionen dargestellte Gestalten, eine männliche und eine weibliche. Sie standen vor einem Sonnenauf- oder Sonnenuntergang, zwar waren ihre Gesichter nicht zu erkennen, doch ihre Körperhaltung wirkte entschlossen. Und am bezeichnendsten war, dass sie einander an den Händen hielten. Partner. Auf dem Weg in eine unbekannte, unsichtbare Zukunft. Und zwar gemeinsam.
»Das ist vielleicht ein bisschen kitschig, aber bei mir darf jeder experimentieren.«
Guardino drehte das Papier um, so dass sie die Schrift auf der unteren Ecke lesen konnte. Ashley hatte ihrem Bild einen Titel gegeben: Die Flucht.
***
Die Kunstlehrerin hatte ihnen keine weiteren nützlichen Informationen geben können, erlaubte Lucy aber, Ashleys jüngstes Werk mitzunehmen. Sie waren gerade wieder auf die Route 22 eingebogen und wollten etwas essen gehen, als Lucys Handy klingelte. »Guardino.«
»Hallo, Lieutenant. Ich hab hier was. Diese Kamera, die Sie im Zimmer des Opfers gefunden haben –«
»Das Opfer hat einen Namen, Taylor.«
»Ja, richtig. Die Kamera, die Sie in Ashleys Zimmer gefunden haben, gehört ihrem Vater, nicht Tardiff.«
»Ist er noch im Haus?«
»Bleiben Sie dran, ich sehe mal nach.« Während sie wartete, informierte sie Burroughs. Taylor meldete sich wieder. »Nein, der Vater ist wieder bei sich zu Hause.« Er ratterte eine Adresse herunter, und Burroughs nickte, legte eine illegale Kehrtwendung hin und ignorierte das wütende Hupen verärgerter Autofahrer.
»Haben wir einen Durchsuchungsbeschluss für seine Wohnung?«
»Haben wir. Ich kann ja rüberkommen und mir mal seine elektronischen Spielzeuge ansehen.« Taylor wollte offenbar unbedingt die Lorbeeren ernten, wenn sie den Fall geknackt hatten.
Sie erinnerte ihn nur ungern daran, dass er sich die Lorbeeren an den Hut stecken konnte, wenn es ihnen nicht gelang, Ashley lebend zu finden. Und falls der Vater für ihr Verschwinden verantwortlich war, sank die Erfolgswahrscheinlichkeit dramatisch.
»Klingt vernünftig.« Sie beendete das Gespräch und starrte Burroughs an, während dieser den Wagen durch den Wochenendverkehr auf der Schnellstraße lenkte. »Welches Problem haben Sie eigentlich mit Schulen?«
Er riss das Steuer herum und schnitt dabei einen Sattelzug, als er die Spur wechselte. »Hä?«
Sie ließ sich nicht davon täuschen, dass er tat, als konzentrierte er sich voll auf den Verkehr. »Sie haben die ganze Zeit da drinnen kein Wort gesagt. Und schieben Sie das jetzt nicht auf die hübsche Kunstlehrerin mit dem süßen Hintern, den Sie nicht aus den Augen lassen konnten.«
»Hey, man wird doch noch g-gucken dürfen, oder?«
Aha: Wenn er wütend war, geriet er ein ganz klein wenig ins Stottern. Na schön, dann war es wenigstens keine größere Sache – nichts, was ihrer Suche nach Ashley im Weg stehen würde. Sie schwieg einen Augenblick. »Sie haben recht, mein Fehler.«
Er drehte sich zu ihr um und warf ihr einen finsteren Blick zu. »Sie d-dachten – mein Gott, was haben Sie b-bloß für eine Phantasie!«
»Tut mir leid.« Sie meinte das vollkommen ernst – sie hätte taktvoller vorgehen müssen. »Aber dieser Fall liegt rein technisch betrachtet außerhalb Ihrer Zuständigkeit, und das Letzte, was ich jetzt brauchen kann, ist irgendein Fanatiker, der mir aus Übereifer meinen Fall vermasselt.«
»Okay, dann lassen Sie es mich ein für alle Mal klarstellen: Ich wurde als Kind nie von irgendjemandem sexuell belästigt. Ja, man hat mich ausgelacht und gehänselt, weil ich gestottert habe, aber ich habe mich durchgeboxt, und keiner ist mir je blöd gekommen. Alles klar?«
Sie hob kapitulierend die Hände. »Hören Sie, ich hab doch schon gesagt, es tut mir
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