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Schlangenblut (German Edition)

Schlangenblut (German Edition)

Titel: Schlangenblut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. J. Lyons
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mit einer anmutigen Hand auf seinem Arm zurück, während Burroughs in die Schatzkammer des jungen Mädchens griff.
    Er fand Schulbücher und eine Mappe – keine große Hilfe. Außer ihren Sportsachen hatte Ashley keine persönlichen Gegenstände im Spind gelassen. Trotzdem benahm sich Guardino, als wäre sie auf Gold gestoßen, blätterte jedes Blatt in der Heftmappe um und sah sich genauestens das gelangweilte Gekritzel einer Siebtklässlerin an.
    »Könnten Sie uns zeigen, was sie im Kunstunterricht gemacht hat?«, fragte sie den stellvertretenden Schulleiter, der zu befürchten schien, jeden Moment verhaftet zu werden.
    »Ihrem Stundenplan nach hat sie Kunst bei Mrs Dunkin. Sie ist auch Ashleys Betreuungslehrerin. Ich habe sie vor einiger Zeit gesehen, als sie gerade ein paar Vasen ihrer Schüler in den Brennofen gestellt hat.«
    »Dann gehen wir mal zu Mrs Dunkin«, erwiderte Guardino lächelnd.
    Burroughs kam sich ganz klein vor, als er durch die Korridore mit den gefliesten Wänden ging. Wie in der Falle. So, als wäre er wieder dreizehn. Die endlosen Reihen stählerner Schließfächer, das glänzende Linoleum, der Lärm, dessen Widerhall sich von Wand zu Wand fortsetzte, und die Lehrer, die einem das Gefühl gaben, ein Dummkopf zu sein, nur weil man einen Sprachfehler hatte. Ganz zu schweigen von der Demütigung, zur Sprachtherapie zu müssen und deshalb immer als ein wenig zurückgeblieben eingestuft zu werden.
    Schweiß trat ihm auf die Stirn, während ihre Schritte durch den leeren Flur hallten. Als er sah, dass Guardino ihn anschaute, schob er die Hände in die Taschen, bevor sie seine geballten Fäuste sehen konnte. Aber solange er die Klappe hielt und sich nicht zum Narren machte, würde schon alles gutgehen.
    Sie bogen um die Ecke und betraten einen hell erleuchteten Raum, der mit bunten Bildern, Stoffen und Skulpturen aus Papiermaché geschmückt war. Eine kleingewachsene Frau kniete vor einem Brennofen.
    »Mrs Dunkin? Die Herrschaften sind von der Polizei. Sie versuchen, Ashley Yeager zu finden, und haben ein paar Fragen an Sie.« Mit diesen Worten ließ der stellvertretende Schulleiter sie allein.
    »Ich war total schockiert, als ich das mit Ashley gehört habe«, erklärte Mrs Dunkin und drehte sich zu ihnen um. Sie trug ausgefranste Jeans und ein mit Farbe verschmiertes T-Shirt. Hätten mehr von den Lehrern, denen Burroughs als Kind ausgesetzt war, wie sie ausgesehen, wäre die Schulzeit für ihn womöglich halb so schlimm gewesen. »Sie ist künstlerisch sehr begabt. Man hat sie eigens von Plum hierhergeschickt, damit sie an unserem Kunstunterricht teilnehmen konnte.«
    »Wir würden gerne alles von ihr sehen«, sagte Guardino, als Burroughs stumm blieb. Sie warf ihm einen Blick zu, als verhielte er sich wie ein Vollidiot, der nur glotzt und kein Wort rausbringt. Er balancierte Ashleys Heftmappe unter dem Arm, nahm seinen Notizblock heraus und tat so, als mache er sich fleißig Notizen.
    Dunkin wischte sich den Tonstaub von den Händen an der Rückseite ihrer Jeans ab. Dann legte sie mehrere große Kartonbögen mit Ashleys Werken vor ihnen aus. Als Burroughs sie sah, überkam ihn das Gefühl, nicht der Einzige zu sein, der ein problematisches Verhältnis zur Schule hatte.
    »Ihre Arbeiten sind in stilistischer Hinsicht sehr reif«, erklärte Dunkin. »Aber voller archaischer Energie.«
    Archaisch. Wenn das nicht untertrieben war.
    Ein Kind, das verzweifelt versuchte, aus dem Gefängnis seiner Ängste auszubrechen – das hätte den Kern wohl besser getroffen. Alle Bilder zeigten einen auf unförmige Weise weiblichen Schatten in immer neuen alptraumhaften Situationen.
    Auf einem stand das Mädchen – trotz der weiblichen Rundungen wirkte die Gestalt irgendwie unreif und noch sehr jung – unter einem riesigen Stiefel, der es zu zermalmen drohte. Dabei war nicht zu erkennen, ob der schwarze Doc Martens einem Mann oder einer Frau gehörte.
    Im nächsten Bild schaute sie im Rennen über die Schulter zu dunklen Schatten zurück, ohne zu merken, dass sie in einem Labyrinth gefangen war – den Windungen einer riesigen Schlange. Das Reptil wartete bereits mit offenem Maul auf sie.
    Und so ging es immer weiter. Finsternis, Schatten, Angst, Ausweglosigkeit, nackte Verzweiflung. Keine Hoffnung, kein Licht, kein Entrinnen.
    »Wurden ihre Noten in letzter Zeit schlechter?«, fragte Guardino.
    »Ja. Sie war eigentlich eine Zweierschülerin, aber letztes Jahr hatte sie fast nur noch Dreien und Vieren«,

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