Schlankheitswahn (Ein Fall für Lizzy Gardner) (German Edition)
Fingers störte Hayley überhaupt nicht. Was sie als weitaus schlimmer empfand, war der Druck von innen, diese ganze versteckte emotionale Scheiße, die niemand sehen konnte. Manchmal kam es ihr vor, als würde sie durchdrehen, wenn sie diese aufgestaute Wut nicht irgendwie abreagieren konnte – eine Wut, die nichts mit dem Spinnenmann oder ihrem abgetrennten kleinen Finger zu tun hatte, sondern einzig und allein mit Brian. Der Mann war absolut gefühllos und hatte den Tod verdient.
Brian hatte sie vergewaltigt und dabei ihre Seele zerstört. Vor einigen Jahren hatte Hayley in einer Einrichtung für Vergewaltigungsopfer Hilfe gesucht. Dort hatte eine freundliche und geduldige Frau sich um sie gekümmert und positiv auf Hayleys Fähigkeit reagiert, das Ausmaß der Wut zu erkennen, die sie gegenüberihrem Peiniger empfand. Hayley war zwei Wochen in der Einrichtung geblieben und hatte mit anderen Vergewaltigungsopfern gesprochen. Neunzig Prozent der jungen Frauen und Mädchen dort hielten Hass und Rachsucht für unangemessen. Diese Frauen empfanden Schuldgefühle, ein Umstand, für den Hayley kein Verständnis aufbringen konnte. Die Leute, die in der Einrichtung arbeiteten, wussten nicht, dass Hayley einen Albtraum durchlebte, der sie in einer Endlosschleife gefangen hielt.
Hayley war sich sicher, dass die Bilder und Erinnerungen sie für immer heimsuchen würden – Brians Gesicht dicht über ihrem, sein gieriger Atem, sein unerträglicher Gestank. Bereits damals hatte sie gewusst, wie es einmal enden würde. Nur den genauen Zeitpunkt hatte sie nicht gekannt.
Aber jetzt war der Augenblick in Reichweite.
Hayley atmete tief durch, als sie das Auto wieder auf die Straße lenkte.
Ein paar Stunden zuvor hatte sie Lizzys Apartment verlassen. Sie hatte die braune Papiertüte unter der Bank im Marshall Park gefunden und dann gewartet, bis es dunkel wurde. Lizzy und Jessica hatten den ganzen Tag versucht, sie zu erreichen. Irgendwann hatte sie ihr Handy ausgeschaltet. Sie hatte Wichtigeres zu tun.
Trotz der späten Stunde waren noch ein paar Leute auf der Straße unterwegs, aber zum Glück keine Bandenmitglieder, Bloods oder Crips, die an den Straßenecken herumlungerten und Ärger machten.
Je weniger potenzielle Zeugen, desto besser für sie.
Sie fuhr die Florin Road entlang und bog irgendwann nach links ab. An der Ecke befand sich ein zweistöckiges Apartmentgebäude, das verlassen aussah. Dann bog sie nach rechts in die Alina Road und kam an ein paar Reihenhäusern mit verwilderten Gärten, zerbrochenen Fensterscheiben und graffitibeschmierten Hauswänden vorbei.
Plötzlich sah sie es.
Brians Haus, das beste und schönste in der Gegend, mit einem Anstrich in neutraler Farbe und einem eingezäunten Garten mitvielen Bäumen. Hayley war sich nicht sicher, ob der Typ, der als Brians Leibwächter diente, heute Nacht hier sein würde, aber dann entdeckte sie ihn. Bei ihren Erkundungsfahrten hatte sie den muskelbepackten Mann in unregelmäßigen Abständen wahrgenommen. Aber sie war auf alles vorbereitet und deshalb trug sie jetzt dieselbe Kleidung, die sie bereits bei ihrem Besuch bei Dr. Williams angehabt hatte.
Hayley fuhr an Brians Haus vorbei und hielt vor einem unbewohnten Haus gleich daneben. Sie stellte den Motor ab, stieg aus und tat so, als sähe sie sich den Hinterreifen an. Dann öffnete sie den Kofferraum und beugte sich darüber, sodass Brians Leibwächter einen ungehinderten Blick auf ihre weiblichen Reize hatte.
»Was ist los?«, hörte sie ihn fragen.
Der Mann kam näher und Hayley drehte sich zu ihm um. »Ich hab einen Platten«, sagte sie und bemühte sich, frustriert und verzweifelt zu klingen.
»Hast du ein Handy?«
»Ja.«
»Warum rufst du dann nicht den Abschleppdienst an?«
Sie hielt den Radmutternschlüssel in der Hand. »Ich hab’s eilig und bis die hier sind, dauert das eine Ewigkeit. Ich komm schon zurecht.« Sie ging wieder zu dem Hinterreifen, aus dem sie gerade so viel Luft herausgelassen hatte, dass es nach einer Reifenpanne aussah.
»Bist wahrscheinlich über ’nen Nagel gefahren.«
»Ja, sieht ganz so aus.«
»Da brauchst du aber ’nen Wagenheber.«
»Das Auto gehört einer Freundin«, sagte sie und lehnte sich in aufreizender Pose an den Kotflügel. »Wissen Sie zufällig, wo der Wagenheber sein könnte?« Sie nagte an ihrer Unterlippe.
Er musterte sie von Kopf bis Fuß und verzog das Gesicht zu einem breiten Grinsen. Er warf einen kurzen Blick nach hinten auf Brians
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