War der Kaffee doch nicht so dünn, wie er aussah! Und offenbar auch nicht so lauwarm, wie ich dachte, denn Grover jaulte kurz auf. Nun tat mir meine Unbeherrschtheit doch leid.
»Sorry, das wollte ich nicht«, schwindelte ich, aber immerhin war meine schuldbewusste Miene echt.
»Nein, ich find’s super, meine Füße waren schon den ganzen Vormittag so kalt«, rang er sich ein Grinsen ab.
Nessie war losgesaust und hatte aus dem Waschraum einpaar Papiertücher geholt. Um mir den Anblick seiner Socken zu ersparen – wie mochten die wohl aussehen, wenn schon seine Jeans total durchlöchert waren –, entschuldigte ich mich rasch noch mal und beeilte mich dann, einen möglichst eleganten Abgang hinzulegen. Nessie zog ich am Arm mit.
»Wieso brennt’s bei dir denn so?«, fragte sie mich, als wir um die Ecke waren. »Wir hätten dem Armen ruhig noch helfen können!«
Ich ließ nur ein Knurren hören, aber da Nessie stehen blieb und mich streng musterte, ließ ich mich dazu hinreißen, einen vollständigen Satz zu formulieren. »Der kommt schon klar. Und ich war nicht scharf drauf, dass er wieder …« Ich stockte, denn mir wurde klar, dass ich nicht Vio vor mir hatte, sondern Nessie. Die größte Klatschtante der Schule. Zu spät.
»Dass er – was?«, fragte Nessie und verstellte mir den Weg, als ich mich hastig an ihr vorbeidrücken wollte.
»Wenn du nur ein Wort, nein, warte: eine Silbe von dem verrätst, was ich dir jetzt sage, mach ich Hackfleisch aus dir«, drohte ich.
Nessie senkte den Kopf und sah zu meiner Verblüffung plötzlich irgendwie traurig aus. »Ich weiß, was du von mir denkst«, sagte sie leise. »Vio konnte mich ja auch nicht ausstehen. Ihr haltet mich für ’ne blondierte, minderbemittelte, vertratschte Tussi, stimmt’s? So denken alle Mädchen über mich. Wundert’s dich, dass ich mich bisher nur an Jungs gehalten habe?«, fragte sie und es klang bedrückt. »Aber ich dachte, du würdest vielleicht nicht mehr so über mich denken, nach dem Abend im Moor. Ich dachte …«
Sie verstummte und zuckte mit den Schultern.
Mir hatte es die Sprache verschlagen. Aus Überraschungwegen ihrer Ehrlichkeit und aus Scham, weil sie recht gehabt hatte mit ihrer Einschätzung von Vio und mir.
Als ich nicht gleich antwortete, wandte sie sich zum Gehen. Ich erwachte aus meiner Starre. Mit zwei Sprüngen war ich an ihrer Seite. »Warte. Es tut mir leid! Ich hab nicht gewusst … Ich meine, natürlich denke ich nicht so über dich«, haspelte ich.
Und als ich ihren misstrauischen Blick sah, verbesserte ich mich: »Jedenfalls nicht mehr! Du weißt gar nicht, wie dankbar ich dir bin, dass ich mit dir zur Schule gehen kann. Du warst … also du bist …«
Ich stockte. »Eine Freundin« brachte ich nicht über die Lippen. Das war und blieb Vio vorbehalten. »… ein echter Kumpel«, sagte ich stattdessen. Aber das meinte ich ernst.
Nessie musterte mich einen Moment, dann grinste sie und knuffte mich in die Seite: »Wo bleibt denn da die Emanzipation, Frau May – das heißt ›Kumpeline‹!«, sagte sie mit einem so gouvernantenhaften Gesichtsausdruck, dass ich lachen musste.
Wir sahen uns an. Friede, sagten unsere Blicke.
»Also, was ist nun mit Grover?«, bohrte sie.
Mist, ich hatte gehofft, sie wäre vergesslicher. Ich holte tief Luft. »Nichts ist mit ihm. Er hat mich nur ein paar Mal wegen Kaffee oder so angequatscht und … naja, mal ein bisschen gebaggert«, gab ich widerwillig zu und nestelte an meinen Haaren. Als ich hochsah, landete mein Blick direkt ihn ihrem breiten Grinsen.
»Nix da!«, beeilte ich mich sie auszubremsen. »Der Typ macht mich noch wahnsinnig mit seinen Sprüchen. Dauernd nimmt er mich hoch, bis ich mir total dämlich vorkomme. Darauf kann ich echt verzichten«, stellte ich klar.
»Wieso, er ist doch ganz süß? Hast du mal seine Augen gesehen? Und diese langen Wimpern … Ganz ehrlich: Dafür würde ich morden«, sagte Nessie.
Bei dem Wort zuckte ich zusammen und sie ebenfalls. Weil sie daraufhin ein sichtlich schlechtes Gewissen hatte, ließ sie mich mit weiteren Ratschlägen in Ruhe und wir zockelten einträchtig zu unserem Kurs. Grover hatte ich bereits vergessen.
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Liebe Schlehenherz,
du schreibst, was ich denke. Ich habe das Gefühl, wir beide sind seelenverwand. Meinst du nicht, wir sollten uns mal treffen? Ich meine, richtig, nicht nur im WWW. Ich wohne nicht so weit von dir