Schmeckts noch
bleiben oder wieder werden. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten traut man Functional Food alles mögliche zu: Es soll Blut verdünnen, Adern blank putzen, gegen Krebs schützen, Grippeviren und Allergien abwehren. Doch die Amerikaner werden immer dicker und immer kränker. Wie ist das zu erklären? Ist unsere schöne neue Essenswelt vielleicht ein Trugschluss?
Die Angst vor BSE, Schweinepest und Vogelgrippe macht im Fleischland Nummer eins neuerdings sogar Appetit auf Steaks aus Zellkulturen. Die Idee dahinter: Man will tierische Produkte erzeugen, ohne Tiere zu mästen und zu töten. Es klingt skurril, doch längst reifen Steaks, Hack und Truthahn in der Petrischale heran. Die Kunstfleischforscher haben aus der Medizin gelernt, wo die Kollegen von den dermatologischen Abteilungen erfolgreich Kunsthaut für Verbrennungsopfer gezüchtet haben. Und warum sollte nicht, wer Haut züchten kann, auch Schnitzel züchten können? Aber nicht nur an der Universität von Maryland, sondern auch im niederländischen Utrecht wird an der industriellen Produktion von Laborfleisch geforscht. Womöglich ist ja der In-vitro-Muskelaufbau auch für Vegetarier eine akzeptable Alternative zum Original aus dem Stall. Retortenwurst aus dem Bioreaktor, in dem die Salami als Zellkultur heranreift? Dagegen kann doch wohl kein Tierfreund etwas haben.
Medi-Food von der Wiege bis zum Schaukelstuhl
Wunsch und Wirklichkeit mögen bei Functional Food weit auseinanderklaffen, aber die Giganten der Lebensmittelindustrie glauben an ihre eigenen Versprechungen und sind im Detail schon sehr weit. Nestlé, der global größte Nahrungsmittelhersteller miteinem weltweiten Jahresumsatz von soliden 91 Milliarden Schweizer Franken (2005), 247 000 Mitarbeiten und über 480 Werken, beschäftigt allein in der Grundlagenforschung gut 600 Personen. Die Ernährungsgewohnheiten von Kindern werden von dem Konzern ebenso erforscht wie die Bedürfnisse der Senioren. Von der Wiege bis zum Schaukelstuhl ist Ernährungsprävention in den Hochglanzbroschüren des Konzerns ein zentrales Thema. Warum soll man beliebten Lebensmitteln wie Minikuchen, Schokoriegeln und Gebäck kein Kalzium hinzufügen, wenn das die Knochendichte verstärkt und Osteoporose vorbeugt? In Brasilien hat Nestlé längst ein Milchpulver für Kinder auf den Markt gebracht, das 50 Prozent mehr Kalzium enthält als herkömmliche Pulver. »Ninho Extra Cálcio« wurde obendrein mit Eisen und den Vitaminen A, C und D angereichert.
Doch wie weit lassen sich Lebensmittel überhaupt »optimieren«? Kann man aus Fruchtsaft, Müsli und Schokoriegeln wirklich »Medi-Food« machen? Ein gutes Beispiel für Food-Optimierung ist die Anreicherung von Eisen in einem Nestlé-Sojaprodukt. Kleinkinder brauchen das Spurenelement für ihre Entwicklung, doch die Aufnahme im Körper ist von vielen Faktoren abhängig und nicht verlässlich. Generell kann nur ein Zehntel des Eisens aus der Nahrung genutzt werden, denn ein Stoff namens Phytin, der im Mehl von Weizen, Reis, Hafer und Mais sowie in Hülsenfrüchten wie Soja vorkommt, ist ein Gegenspieler des Spurenelements Eisen. Phytin selbst durchläuft den Körper, ohne von ihm aufgenommen zu werden. Auf seiner Reise durch den Verdauungstrakt jedoch nimmt Phytin das Eisen einfach mit. Die Forscher von Nestlé haben nun ein Verfahren entwickelt, das das Phytin außer Kraft setzt. Ist der Stoff erst inaktiviert, kann das Eisen im Dünndarm problemlos aufgenommen werden.
Mit seinen »LC1-Joghurts« hat der Food-Multi 1995 Joghurtgeschichte geschrieben. Seither gibt es viele »probiotische« Milchprodukte. Die Steigerung von »pro« ist »prä«: Präbiotika arbeitenmit unverdaulichen Kohlenhydraten wie Inulin und Oligofructose zusammen, die als Ballaststoffe in Joghurt fungieren. In Gegenwart der »Präs« wachsen die »Pros« im Dickdarm prima. Erst kürzlich konnte eine klinische Studie die positive Wirkung des »funktionellen« Joghurts auf Entzündungen der Magenschleimhaut (Gastritis) nachweisen. Patienten, die an dieser schmerzhaften Erkrankung litten, verspürten bei einer Dosis von einem Becher Joghurt pro Tag schon nach drei Wochen eine deutliche Verbesserung. Lactobacillus johnsonii 1 sei Dank.
Sogar gegen den bösen Helicobacter pylori kann man mit Joghurt anlöffeln. Der Retter vor dem üblen Magengeschwür heißt »La1« und ist ein Bakterium aus der Sammlung der Nestlé-Mikroorganismen. La1 passiert den Magen unbeschadet, trotzt nicht nur der Magen-,
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