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Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road

Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road

Titel: Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Piccirilli
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nicht verdenken.
    »Erzählen Sie mir von ihr«, forderte Raidin ihn auf.
    Flynn legte los. Er erklärte ihm, dass Graces Mutter krankhaft eifersüchtig auf ihre Tochter gewesen war. Sie hatte sie physisch und seelisch misshandelt. Ihre Kleider zerschnippelt, sie geschlagen und den Jungs aus
der Nachbarschaft erzählt, sie sollten sich von ihrer Tochter, dieser kleinen Schlampe, fernhalten. Oder sie war auf der Straße mit dem Fleischermesser hinter ihr her gelaufen. Ein Mädchen ohne jede Selbstachtung, zerstört von der eigenen Mutter.
    In der Schule hatte Grace einmal eine Überdosis genommen, wurde aber von einem Sportlehrer gerettet. Vor vier Jahren war dann Flynn gekommen und hatte die Mutter zur Beobachtung ins Pilgrim State Hospital einweisen lassen. Um nicht vor Gericht zu landen, hatte sie sich damit einverstanden erklärt. Die Psychiater hatten eine paranoide Schizophrenie festgestellt und sie dort behalten. Harry Arnold hatte gesagt, er könnte sich nicht gleichzeitig um Grace und eine kranke Ehefrau kümmern. Grace wurde zu einer Tante geschickt.
    Ihre Mutter kam sechs Monate später nach Hause, verfiel sofort wieder in die alten Muster und ging zurück in die Psychiatrie. Flynn hatte die Vormundschaft für Grace übernommen, bis sie achtzehn war. Sie modelte für Zeitschriftenanzeigen und war sogar in ein paar Werbespots zu sehen. Danach wollte sie es bei einer Soap probieren. Flynn wusste, dass sie das richtige Aussehen hatte, war aber der Meinung, dass sie noch zu zerbrechlich sei für eine Stadt wie L. A. oder New York. Während eines Mittagessens versuchte er, es ihr auszureden, aber sie wirkte so entschlossen, dass er keine Lust hatte, sie zurechtzuweisen, so wie ihre Mutter es immer getan hatte.
    Jetzt lag sie am Boden, in schwarz. Und auch Harry trug schwarz. Die Mutter war nirgends zu sehen. Womöglich war sie tot und heute ihre Beerdigung gewesen.
Er fragte sich, ob Grace so viel falsche Schuld auf sich genommen hatte, dass sie nach Hause gekommen war, um die Welt durch die Augen ihrer Mutter zu sehen, und sie ihr zu krank und zu traurig gewesen war. Es war eigentlich schwer vorstellbar, aber er hatte sie immerhin seit fast zwei Jahren nicht gesehen. Am Ende war L. A. vielleicht auch nicht anders gewesen und hatte sie zusammenbrechen lassen.
    »Was ist mit der Mutter?«, fragte Flynn.
    »Sie ist vor drei Tagen gestorben. Selbstmord.«
    »In der Psychiatrie?«
    »Nein, sie war hier im Haus. Pillen im Schlafzimmer. Dieselben wie ihre Tochter. Die Aufbahrung war heute Morgen. Heute Abend soll es noch eine geben. Als sie nach Hause kamen, ging der Vater noch mal los, um Zigaretten zu kaufen. Er fuhr zum Laden und hatte eine halbstündige Heulorgie auf dem Parkplatz. Nachdem er sich einigermaßen beruhigt hatte und wieder nach Hause fuhr, war sie tot.«
    Flynn sah rüber zu Harry Arnold und fügte die Puzzleteile in Windeseile zusammen. »Überprüfen Sie, ob sie vergewaltigt wurde.«
    »Das klingt, als würden Sie mir Befehle erteilen.«
    »Richtig, so klingt es«, sagte Flynn. »Lassen Sie den Gerichtsmediziner feststellen, ob sie kürzlich Sexualverkehr hatte.« Er betrachtete Grace, die kein Make-up trug und offenbar gerade erst geduscht hatte. »Wahrscheinlich wird er nicht viel finden. Ich schätze, sie hat sich danach gewaschen.«
    Raidin nahm wieder etwas Schärfe an. »Nur, weil sie in den letzten achtundvierzig Stunden Geschlechtsverkehr
hatte, bedeutet das nicht, dass sie vergewaltigt wurde. Der Gerichtsmediziner weiß, was er tut.«
    »Dann sorgen Sie dafür, dass er keinen Fehler macht. Der da drüben, Harry Arnold, ist nicht ihr Vater. Er ist ihr Stiefvater, seit acht, neun Jahren. Es gab ständig Reibereien in der Familie. Die Mutter war krankhaft eifersüchtig auf ihre Tochter, aber ich glaube nicht, dass es Grace war, die sie so aufgebracht hat. Es war Harry, der um Grace herumschnüffelte.«
    »Hat das Mädchen Ihnen das erzählt?«
    »Nein«, sagte Flynn. »Vielleicht hat sie es gar nicht mitbekommen. Sie war ja noch ein Kind.«
    »Dann haben Sie keine Beweise. Sie war sechzehn, sagten Sie?«
    »Richtig.«
    »Da ist man nicht unbedingt mehr ein Kind. Sie sehen überall nur noch böse Daddys.«
    Flynn schüttelte den Kopf. »Er hat sie weggeschickt, nachdem die Mutter eingewiesen worden war. Ich denke, er hat gegen seinen Trieb angekämpft. Aber am Ende war der doch zu stark.« Harry schluchzte immer noch, aber es liefen keine Tränen über seine Wangen. »Er ist der Grund.

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