Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road
Lemminge.
Zero hatte die Nase zwischen die Pfoten geklemmt und sah Flynn genauso an wie an dem Abend, an dem sie ertrunken waren. Flynn spürte wieder, wie das Wasser über Zeros Schnauze stieg, wie seine Augen auf ihn gerichtet waren und die Kälte ihm das Herz abschnürte.
»Er wird dir entkommen«, meinte Zero.
»Bestimmt nicht.«
»Doch, das machst du mit Absicht.«
»So ein Quatsch.«
»Du willst, dass er wiederkommt und es zu Ende führt.«
»Wenn ich sterbe, was wird dann aus dir?«
»Wir sind beide schon tot, nur dass ich klug genug bin, es zu wissen.«
»Heute Abend kommst du ohne Knochen ins Bett.«
»Es gibt nur die Hölle. Kein Fegefeuer. Kein Paradies. Nur die Hölle.«
»Ich bin klug genug, das zu wissen.«
Er nahm die Ausfahrt Richtung Süden, holte auf und raste mit fast sechzig Meilen auf die Robert Moses Bridge zu. Er fragte sich, ob der GTO tatsächlich zum Strand wollte oder ob er versuchen würde, Flynn abzuschütteln und über den Ocean Parkway nach Westen zum Wantagh oder Meadowbrook State Parkway zu gelangen.
Flynn sah die Rücklichter des GTO vor sich und trat das Pedal bis zum Anschlag durch. Sein Vordermann war langsamer geworden, die Straßenverhältnisse waren hier draußen am Wasser noch miserabler. Der Schnee wurde vom Seewind hereingetragen und schlug ihnen unerbittlich entgegen.
Fast ohne etwas zu sehen, schafften sie es über die Brücke. Die Bremslichter des GTO leuchteten rot auf. Er wurde langsamer. Er hatte Angst. Flynn war wie im Rausch.
»Wäre das nicht komisch, wenn du von der Brücke stürzt und wieder im Wasser landest und auf so ziemlich
dieselbe Art und Weise wie dein Bruder stirbst, so wie du selbst, im selben Wagen …«, fragte Zero.
»Nein, wäre es nicht.«
»Er will zum Ocean Parkway.«
»Keine Chance.«
Flynn donnerte auf den GTO zu, rammte seine Stoßstange und schnitt ihm vor der nächsten Ausfahrt den Weg ab. Von hier an gab es nur noch unbefestigte Stra ßen, Familienstrände und zugefrorene kleine Buchten, wo alte Männer Eisfischen gingen.
Der GTO schoss von der Straße auf einen der Parkplätze am Robert Moses Beach und riss die Holzschranke ab, die auf Flynns Haube landete und auf die Windschutzscheibe krachte. Mehrere schwere Risse zeichneten sich ab, und die Scheibenwischer klemmten in der unteren Position fest.
Flynn konnte nichts mehr erkennen. Er steuerte auf die Toiletten und die Snackbar am hinteren Ende des Parkplatzes zu, in der Hoffnung, dort Deckung zu finden. Er kurbelte das Fenster herunter und steckte den Kopf raus. Es war ein Fehler gewesen, langsamer zu werden. Damit hatte er ihm die Möglichkeit gegeben, an die Seite zu fahren und sein Gewehr in Anschlag zu bringen.
Der Killer war gut bei starkem Wind. Er hatte Angela Soto aus knapp hundert Metern Entfernung umgelegt, im Sturm.
Flynns Haare und Gesicht waren mit einer dünnen Schicht Eis bedeckt. Er suchte das andere Ende des Parkplatzes ab, aber da war nichts als Weiß. War er etwa wieder zurückgefahren? Plötzlich sah er den GTO keine
fünfzehn Meter entfernt vor der Damentoilette stehen. Die Reifenspuren führten zur Wand, drehten dann ab und kehrten wieder um. Was hatte das zu bedeuten?
Die Fahrertür stand offen. Vorsichtig rollte Flynn auf den GTO zu. Das Gewehr lehnte gegen den Rücksitz.
Warum hatte er es nicht mitgenommen?
Flynn stieg aus. Es war vollkommen wahnsinnig, wie er gefahren war. Der andere hatte immerhin abgebremst, er hatte am Leben bleiben wollen. Vielleicht gab das den Ausschlag. Vielleicht hatte der Hund doch Recht.
Zero sprang aus dem Charger und lief durch den Schnee. Flynn zog seinen.38er und näherte sich dem GTO, er dachte an Filmszenen, in denen ein Privatdetektiv auf allen vieren kroch, sich heranschlich, lauerte und sich in Schlangenlinien bewegte, um nicht über den Haufen geballert zu werden. Der Killer stand wahrscheinlich auf der anderen Seite der Snackbar. Hätte er das Gewehr mitgenommen, hätte er Flynn problemlos abknallen können. Warum hatte er es nicht getan?
Eine Styroporschachtel, offenbar mit einem Hamburger darin, lag mit flatterndem Deckel neben dem linken Vorderreifen. Der Kerl war so schnell aus dem Wagen gesprungen, dass er seinen Müll mit rausgerissen hatte. Flynn kniete sich hin, hielt den.38er in den Wagen und warf einen Blick hinein. Nichts. Er blieb hinter der Wagentür in der Hocke.
Der Wind brannte ihm in den Augen. Er hielt die Hände vor sein Gesicht, sah nach unten und entdeckte Fußstapfen, die vom
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