Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)
Reisetasche dabei?« Natürlich
hatte sie das, was denn sonst? Mann, John!
»Frau Winter
hat ausgecheckt und unser Haus verlassen, Herr Dietz. Mehr kann ich Ihnen leider
nicht sagen.«
»Ist irgendetwas
vorgefallen?«, ließ er nicht locker.
»Wie bitte?«
»Ich meine,
gab es irgendeine Störung, eine Auffälligkeit?«
Höflich,
aber bestimmt beendete die Frau das Gespräch. Und John blieb stehen, die große Kreuzung
vor dem Stadttheater in Sicht – von dort wären es bloß noch ein paar Minuten zum
Hotel gewesen. Laura, wo bist du? Er biss sich auf die Unterlippe, fühlte, wie ihm
auf einmal die Sorge um Laura unter die Haut kroch. Fieberhaft überlegte er.
Als er zuvor
die wenigen Worte mit ihr gewechselt hatte, schien es sehr still um sie herum gewesen
zu sein. Wo bist du? Auf keinen Fall irgendwo hier in der City. Und ebenso wenig
am Hauptbahnhof. Stille, Ruhe. Da kam ihm ein Gedanke. Ziemlich abwegig, sagte er
sich.
Oder vielleicht
doch nicht so abwegig? Wiederum setzte er sich in Bewegung.
*
John hatte schließlich darauf verzichtet,
das Fahrrad zu holen. Wer wusste schon, ob es auf ein paar Minuten mehr oder weniger
überhaupt ankam. Den ganzen Weg war er zu Fuß gegangen, die Lederjacke in der Hand
haltend. Die Sonne schien wieder einmal auf die Stadt herunter, als liege sie ihr
tatsächlich ganz besonders am Herzen, wie die Freiburger gern behaupteten. Er hatte
sich verboten, nachzudenken, und war einfach Schritt für Schritt auf sein Ziel zugegangen,
den Kopf wie ausgeschaltet. Die Fußgängerzone im Rücken, war er dieser sich ziemlich
lang hinziehenden Straße gefolgt, in der gerade kaum Verkehr herrschte. Nur vereinzelt
brummten Autos in Richtung Stadtzentrum an ihm vorbei.
Und dann
endlich entdeckte er sie. Vor Erleichterung blieb er stehen. Das Erste, was er bewusst
wahrnahm, war die Reisetasche, die sie neben sich auf dem Bürgersteig abgestellt
hatte. Dann erst tastete sich sein Blick an ihrer stets ebenso schlicht wie elegant
gekleideten Gestalt hinauf, bis zu ihrem Gesicht, ihren kühlen Augen, die mit einem
traurigen Ausdruck auf der Stelle ruhten, an der ihre Schwester ums Leben gekommen
war.
Langsam
ging er auf sie zu, mit einer fast abwartenden Haltung, als wäre ihr in der Wut,
die sie am Telefon offenbart hatte, alles nur Denkbare zuzutrauen. Als sie ihn bemerkte,
veränderte sich etwas in ihrem Gesicht. Die Traurigkeit blieb zwar, doch etwas anderes
kam hinzu, das John nicht so ganz einzuschätzen vermochte.
Etwa drei
Schritte vor Laura Winter blieb er stehen.
»Hallo,
Privatschnüffler.« Ihre Stimme klang trocken, rau, als hätte Laura seit Tagen keinen
Tropfen Flüssigkeit zu sich genommen.
»Hallo,
Laura.« Er sah ihr an, dass eben noch Tränen ihre Wangen hinabgerollt sein mussten.
»Woher hast
du gewusst, dass ich hier bin, John?«
Er bemühte
sich, ein Lächeln hinzubekommen, und tippte mit dem Zeigefinger an seine Schläfe.
»Köpfchen. Bin eben nicht umsonst ein verdammt ausgekochter Privatschnüffler.«
Auch sie
lächelte. Tatsächlich.
Flüchtige
Sekunden der Stille, kein einziges Auto, die Kartäuserstraße lag friedlich vor ihnen.
»Du wolltest
noch einmal Abschied nehmen?«, meinte John leise.
Sie musterte
ihn und sagte nichts.
»Wann geht
dein Zug? Soll ich dich zum Bahnhof bringen?«
»Mein Zug?«
Die Ausdruckslosigkeit, die sich nun in ihren Augen spiegelte, hatte fast schon
etwas Herausforderndes.
»Na ja,
du hast das Hotel verlassen und jetzt …« John breitete die Arme aus. »Und jetzt
bist du hier, um …«
Ihr Kopfschütteln
ließ ihn innehalten. »Ich habe keineswegs die Absicht abzureisen.«
»Aha.« Ein
wenig ratlos wiederholte er dieses ›keineswegs‹ in Gedanken. Nur Laura Winter hätte
ein solches Wort auf diese Art aussprechen können. »Was ist dann deine Absicht?
Wenn ich fragen darf.«
»Du darfst.«
Sie lächelte – allerdings anders als zuvor. »Nur dass ich leider nicht die geringste
Ahnung habe, was ich jetzt tun werde.«
»Ziemlich
untypisch für dich. Würde ich jedenfalls sagen.«
»Nicht in
letzter Zeit. Würde ich jedenfalls sagen.« Sie starrte ins Nichts. »Ich weiß
nur, dass ich weg will aus dieser Straße.«
John trat
zu ihr und ergriff ihre Tasche. »Sorry noch mal. Ich meine, wegen gestern.«
»Schwamm
drüber, John.« Sie hob die Achseln. »Was dagegen, wenn ich dich auf einen Kaffee
einlade? Ich könnte einen gebrauchen.«
Sie machten
sich nicht allzu viel Mühe mit der Auswahl. Nur zehn Minuten
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