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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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zapfen einem Blut ab, das wäre ja vielleicht sogar die elegantere Lösung.
    Warum gibt es bei Extra den Haloumi zum Braten nicht mehr, nachdem ich ihn zum ersten Mal gekauft habe und er aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken schien?
    Wie oft muß man sich sehen, um noch zusammen zu sein? Wo liegt der Rekord in dieser Disziplin? »Als erstes Paar weltweit haben Gregor und Peggy es geschafft, sich freiwillig zwanzig Jahre nicht zu sehen, und trotzdem noch zusammen zu sein.«
    Sollte man ein Video von der eigenen Geburt besitzen?
    Lohnt es sich »De la grammatologie« zu lesen?
    Warum lerne ich immer nur eingefleischte Vegetarierinnen kennen?
    Wie kann ich verhindern, daß mein Kollege an seine Hämorrhoiden denkt, während er mit mir spricht?
    Warum sind alle Gesellschaftsspiele von 6–99, und man wird von allem ausgeschlossen, was Spaß macht, sobald man 100 ist?
    War Celan clean?
    Ist es nicht viel anstrengender, der erste Mohikaner zu sein?
    HABE ICH DIE CAPS_LOCK_TASTE JE ABSICHTLICH GEDRÜCKT?
    Soll ich heute noch aus dem Haus gehen und wird dann alles anders?
    Sodom und Gomorra, S. 353–373
    Cottard ist ein treuer Getreuer von Madame Verdurins » kleinem Kreis «, er würde nur für eine sehr wichtige Konsultation auf den wöchentlichen Besuch verzichten, » wobei die Wichtigkeit im übrigen mehr von der sozialen Stellung des Kranken als von der Schwere des Falles abhing. Denn obwohl ein guter Mensch, verzichtete Cottard auf die Annehmlichkeit des Mittwochs nicht zugunsten eines Arbeiters, der vom Schlag getroffen war, wohl aber wegen eines Ministers, der am Schnupfen litt «. Während einer einzigen Fahrt mit der Bahn ruft Cottard gleich zweimal » Sapristi! « aus, einmal wegen der bemerkenswerten Höhe der von Madame Verdurin gemachten Erbschaft und einmal, als er hört, daß Madame de Cambremer ebenfalls heute abend bei den Verdurins erwartet wird. »Sapristi« war eines der Wörter, die mir zuerst in »Tim und Struppi« begegnet sind, dem anderen großen Epos aus dem französischen Sprachraum. Andere Wörter und Konzepte, die ich von »Tim und Struppi« kenne: Saufaus, Fata Morgana, Yeti, Elmsfeuer, Boxeraufstand, Syndikat, Cahare-Gift, liquidieren, Guano, Tapir, Chloroform, Komplott, Piranhas, Pipeline (damals noch wie ein weiblicher »Piepel« gesprochen) und Steward (damals noch wie »stehen« und »warten« gesprochen).
    Ein Beispiel dieses emblematischen Erlebnisses der Moderne, wenn man einem Menschen begegnet, nicht mit ihm spricht, schon weiß, daß man ihn nie wiedersehen, aber nie vergessen wird: Ein Mädchen mit » magnolienhaftem Teint «, schwarzen Augen und » wundervollen Formen « steigt zu, öffnet das Fenster, raucht eine Zigarette und springt an einer der nächsten Stationen » gewandt vom Trittbrett «. » Oft noch, wenn ich an sie denke, fühle ich mich von tollem Verlangen erfaßt «, sagt Marcel/Proust, und man denkt an Heiner Müllers »Quartett«: »die Parade der jungen Ärsche […] alle können wir nicht haben.«
    Mit ein bißchen Glück könnte das Mädchen mit den wundervollen Formen ja heute noch leben, aber natürlich sei sie schon bei der Niederschrift dieser Episode, zehn Jahre später, wohl nicht mehr ganz so frisch gewesen (man muß also wohl schon noch weitere zehn Jahre warten und hoffen, ihrer Tochter zu begegnen). Aber man muß sich ja nicht wiederbegegnen, man findet sowieso mit zunehmendem Alter in den Gesichtern der Menschen Züge anderer Gesichter wieder und fühlt sich ihnen deshalb manchmal auf irrationale Weise verbunden oder von ihnen abgestoßen. Tragischer als das Altern der anderen ist auch immer noch das eigene. Denn es kommt der Tag, » der so unabsehbar und traurig wie eine Winternacht ist, […] da man weder diese junge Person noch eine andere sucht, ja, wo es einen sogar erschrecken würde, wenn man sie wiederfände. Denn man spürt, daß man nicht mehr über genügend Reize, um zu gefallen, noch über genügend Kraft, um sie zu lieben, verfügt «. Dann sitzt man, wie Trintignant in »Drei Farben: Rot«, in seinem Haus und wartet auf den Tod. Woody Allen hat auch gerade wieder einmal in dieser erschreckenden Weise über das Alter geredet, aber immerhin hat er täglich Scarlett Johansson vor der Kamera und, wenn er so alt wird wie seine Eltern, kann er auch noch mit ihrer Tochter drehen.
    Ein bitterer Moment, man spürt richtig, wie die Verfassung des Autors durchschlägt. Als Vorbote des Todes lege » die ewige Ruhe « schon Intervalle bei uns ein,

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