Schmidt Liest Proust
ihren Salon «, sagt die Chefin, und Marcel errötet, weil er keine hat (Schuld). Als die Großmutter nach einer halben Stunde wieder erscheint, fürchtet er, sie würde kein Trinkgeld geben und zieht sich aus Angst vor der Verachtung der Klofrau zurück (Schuld). Er erwartet eine Bemerkung von der Großmutter, weil sie ihn so lange hat warten lassen und er doch noch rechtzeitig zu seinen Freunden will, sie sagt aber nichts, und er ist enttäuscht (Schuld). Erst jetzt sieht er sie an und erschrickt, » sie sah unordentlich und wie mißvergnügt aus und hatte das rote, gequälte Gesicht einer Frau, die von einem Wagen umgefahren und aus dem Straßengraben gezogen worden ist «. Sie kann kaum sprechen, und er schlägt ihr endlich vor umzukehren. Sie (Schuld) dankt ihm: » Ich wagte nicht, es dir vorzuschlagen, wegen deiner Freunde. « » Ich zitterte, sie könne selbst bemerken, in welchem Ton sie diese Worte sagte. Anscheinend denkt man, es würde den anderen beschämen, zu erkennen, daß er sterben wird. «
Und damit schließt der erste Teil dieses dritten Bands.
Unklares Inventar:
– Dyspepsie.
Selbständig lebensfähige Sentenz:
– » Im Zustand der Krankheit merken wir, daß wir nicht allein existieren, sondern an ein Wesen ganz anderer Ordnung gefesselt sind, von dem uns Abgründe trennen, das uns nicht kennt, und dem wir uns unmöglich verständlich machen können: unseren Körper. «
73 . So, 1.10., Berlin, abends, aufs Ausgehen verzichtet, Rotwein und Krach von Trans-Am
Das Haustürschloß war wieder kaputt, ich war wahrscheinlich der Letzte, der es nicht bemerkt hatte und die Tür immer noch mit dem Schlüssel öffnete. Das erste Mal fiel es mir bei einem Paketboten auf, der die Tür aufdrückte und in den Hausflur geplatzt kam, kurz überlegte ich, ob ich ihn zur Rede stellen sollte, aber ich sah ihn nur entrüstet an. Jedesmal, wenn das Schloß repariert wird, schlagen sie die Rechnung auf die Betriebskosten, und ich muß alles mitbezahlen. Aber als ich merkte, daß auch die Hausbewohner die Tür einfach aufdrückten, kamen mir Zweifel. Warum machte ich mir als einziger die Mühe, meine zwei schweren Einkaufsbeutel abzusetzen und in der Hosentasche nach meinem Schlüssel zu suchen, wenn es auch einfacher ging? Wenn ich schon dafür zahle, will ich auch etwas davon haben. Aber ich wollte nicht dabei gesehen werden, wie ich die Tür aufdrückte, schließlich war ich immer gegen diese Methode gewesen, und wenn man mich erwischte, wäre ich immer noch dagegen, ich wollte nur nicht der Dumme sein. Aber der Unterschied zwischen ihrer verantwortungslosen Haltung und meiner, die ja eher mit Gerechtigkeitssinn zu tun hatte, würde ihnen wohl nicht aufgehen. Es ist wichtig, daß das Schloß funktioniert, denn als es das letzte Mal kaputt war, hat irgendwer die Spiegel aus dem Hausflur geklaut und bis in den zweiten Stock die Wände beschmiert. Außerdem stelle ich mein Fahrrad immer in den Hausflur, obwohl die Hausverwaltung schon einmal einen Aushang angebracht hat, sie würden alle unrechtmäßig im Hausflur abgestellten Fahrräder kostenpflichtig entfernen. Die meisten stellten ihre Fahrräder daraufhin in den Hof, wo sie dem Regen ausgesetzt sind, ich machte das auch eine Weile mit, bis der Aushang verschwunden war und ich wieder dazu überging, das Fahrrad in den Flur zu stellen, schließlich benutze ich es jeden Tag und es stört nicht. Das ging auch so lange gut, bis diese eigenartigen Mieter aus dem Parterre nachzogen und ihre Räder auch in den Flur stellten, und zwar ziemlich rücksichtslos, manchmal war gar kein Platz mehr für mein Rad. Als ich neulich gerade mein Fahrrad anschloß, sprach mich eine Mieterin an, die Fahrräder im Flur würden stören. Da sie mich mit meinem Kindersitzfahrrad sah, rechnete ich auf ihr Verständnis, sie wußte ja nicht, daß von mir schon ein zweites, schnittiges Mountainbike an der Wand lehnte. Außerdem fand ich ja auch, daß die anderen Fahrräder störten, mein ganz gewissenhaft und platzsparend an die Wand gestelltes hatte man ja lange genug toleriert. Die Mieter aus dem Parterre sind schuld, aber die anzusprechen, würde sie sich bestimmt nicht trauen, die hören immer so laute Musik und sehen fremdländisch aus. Und wenn ich mein Fahrrad auf den Hof schiebe, bleiben deren Räder trotzdem im Weg stehen, vielleicht fühlen sie sich sogar ermutigt, noch mehr Räder anzuschaffen. Außerdem habe ich die Tür nie aufgedrückt und mir dadurch eine Vergünstigung
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