Schmutzengel
waren:
Arbeitgeberin: Corinna Leyendecker, einunddreißig Jahre und vollkommen unerfahren.
Bewerberin: Lisbeth Baues, siebenundfünfzig Jahre alt, Hauswirtschaftsmeisterin.
Zeugin: meine Oma, beste Freundin der Bewerberin.
Lisbeth hat den Umfang einer hundertjährigen Eiche, eine Haut wie die Rinde einer hundertjährigen Eiche und eine entsprechende
Standhaftigkeit. Man könnte auch sagen, sie sei dickköpfiger als ein baskischer Wildesel, aber sie ist ein Engel – in jedem
Sinne dieses wunderbaren Wortes. Sie kennt mich seit meiner Kindheit und duzt mich. Sie ist diejenige, die Ahnung hat, deshalb
übernahm sie die Gesprächsführung. Das würde ich in Zukunft wohl ändern müssen.
»Hallo, Lisbeth.« Ich umarmte sie aus alter Gewohnheit. Ihre kräftigen Arme drückten mich an ihren großen Busen, dann gab
sie mir förmlich die Hand.
»Ich habe seit dreißig Jahren kein Vorstellungsgespräch mehr gehabt«, sagte sie.
»Und ich habe noch nie eins als Arbeitgeberin geführt«, entgegnete ich mit einem nervösen Grinsen.
»Also, was willst du wissen?«, fragte Lisbeth.
»Ich erzähle dir, was ich mir vorgestellt habe, dann kannst du mir sagen, ob du Lust hast mitzumachen.«
Lisbeth nickte, ich legte ihr meine Pläne dar.
Als ich geendet hatte, ergriff Lisbeth das Wort. »Erstens: Ich arbeite nicht unter Aufsicht, also wenn die Wohnungseigentümer
anwesend sind. Zweitens: Ich unterstütze dich anfangs bei der Abgabe der Angebote. Drittens: Ich habe das Recht, Aufträge,
die inakzeptabel sind, abzulehnen.«
»Was heißt inakzeptabel?«, fragte ich alarmiert.
»An die Wände geschmierte Fäkalien. Frei laufende oder frei kriechende Haustiere wie Schlangen, Spinnen oder Krokodile. Cannabisanbau
auf dem Balkon. Solche Sachen.«
Ich starrte sie sprachlos an. Mit diesen Problemen hatte ich bisher nicht gerechnet.
Lisbeth nickte. »Ich habe an meinem Arbeitsplatz so einiges erlebt. Ursprünglich war es ein Müttergenesungsheim, dann eins
von der Krankenkasse für psychisch Labile, dann ging es an eine private Krankenkasse für teure Diätkuren und neuerdings betreibt
eine Stiftung das Haus als Stress- und Drogenentzug für Manager.«
Diese Entwicklung war mir nicht bewusst gewesen, bei uns hieß das Haus einfach so lange ich denken konnte Genesungsheim. »Und
welche Aufgabe hattest du in dem Haus?«
»Angefangen habe ich als Köchin, zuletzt war ich für den gesamten Ablauf verantwortlich. Ich habe die Küche gemanagt und die
Wäsche organisiert. Ich habe als Hausmeisterin fungiert, die Material- und Verbrauchsgüterbestellungengemacht und war Ansprechpartnerin für das gesamte Personal.«
Mir fiel die Kinnlade herunter. Eigentlich müsste Lisbeth den Chefsessel einnehmen. Sie konnte alles das, was ich demnächst
tun wollte. Nur hatte ich keinerlei Vorwissen, während sie bereits jahrelange Erfahrung vorweisen konnte.
»Warum stellst du nicht selbst so ein Unternehmen auf die Beine?«, fragte ich.
Lisbeth betrachtete mich prüfend, dann lächelte sie und legte mir ihre kräftige Hand auf den Arm. »Ich bin siebenundfünfzig
Jahre alt, mein Kind. Ich arbeite gern mit den Händen und denke auch gern mit, aber ich bin froh, wenn du die geschäftliche
Verantwortung übernimmst. Ich möchte neben der Arbeit für dich zwei oder drei Stunden an einer Abendschule für Hauswirtschaft
unterrichten. Diese Arbeit mit jungen Menschen hat mir immer viel Freude gemacht. Und dann will ich endlich etwas vom Leben
haben.«
Ich nickte.
»In der Zeit, als das Genesungsheim eine Diätklinik war, habe ich viele interessante Frauen kennengelernt, die bei uns ein
paar Wochen abgespeckt haben. Mit einigen halte ich noch Kontakt, eine lebt in Düsseldorf. Sie schreibt mir von Theaterstücken,
die sie gesehen, und von Büchern, die sie gelesen hat. Ich war noch nie in einem modernen Schauspiel und ich denke, es ist
an der Zeit, das nachzuholen. Ich rufe sie an, sobald wir uns einig sind. Sie wird mir sicher bei der Wohnungssuche helfen.«
Wir einigten uns auf einen Stundenlohn für den Anfang, eine Probezeit, sprachen über ein Festgehalt, das sie bekommen sollte,
sobald es genügend Arbeit für sie gab, und schüttelten uns schließlich feierlich die Hand. Dann fielen wir drei uns in die
Arme und öffneten den Sekt, den Omaimmer im Kühlschrank stehen hatte. Es wurde eins der schönsten Weihnachtsfeste, an die ich mich erinnern kann.
Wie naiv ich damals war. Wenn ich geahnt
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