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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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fahrendes Karussell zu springen. Also standen Tron und die Kaiserin am Rand und beobachteten, wie die wirbelnden Paare aneinander stießen und sich lachend für ihr Ungeschick entschuldigten.
    Dann endete der Walzer. Applaus brandete auf, Beifallsrufe waren zu hören und Händeklatschen, so als wäre man in einem Konzert. Kleine Gruppen bildeten sich auf der Tanzfläche, viele Gäste hatten ihre Masken bereits nach oben geschoben, um Luft an ihre erhitzten Gesichter zu lassen. Ein dicker, maskierter Watteau-Schäfer schob mit seinem Hirtenstab die Veilchensträuße zusammen, die den Damen während des Tanzes aus den Händen gefallen waren. Der Schäfer schwankte ein wenig, ob von der Hitze des Ballsaals oder vom Champagner, den die Diener überall auf silbernen Tabletts servierten, war schwer zu sagen.
    Plötzlich setzte die Musik wieder ein, mit drei langsamen,auftaktähnlichen Sekundschritten, an denen nur die Celli und der Kontrabass beteiligt waren. Man sah, wie sich die Gruppen auf der Tanzfläche auseinander fädelten, wie bunt gekleidete Damen nach ihren Kavalieren suchten und wie Herren, im Frack und mit Ordensbändern an den Revers, ihre Damen bereits um die Taille gefasst hatten, um auf die ersten Dreivierteltakte zu warten.
    Tron und die Kaiserin machten zwei hastige Schritte auf die Tanzfläche und landeten direkt vor einem Paar mit geröteten, verschwitzten Gesichtern, die sich ihrer Masken bereits entledigt hatten – sie hingen ihnen wie heruntergeklappte Visiere auf der Brust. Tron erkannte Pietro Calògero, den Direktor der
Banca di Parma
, und seine Frau, eine vierschrötige, stumpfnasige Person, mit der die Contessa in irgendeinem Wohltätigkeitskomitee saß. Der Direktor und seine Frau steckten in brandneuen, aufwendig gearbeiteten Settecento-Kostümen, die bunt und billig aussahen, obwohl sie sicherlich ein kleines Vermögen gekostet hatten. Beide erwiderten Trons freundliches Kopfnicken mit einem Lächeln, in dem sich Neid und Herablassung mischten: Neid auf den Glanz, den der Palazzo Tron noch immer entfaltete, Neid auf die illustre Gästeliste der Contessa – und Herablassung, weil sie genau wussten, wie es in finanzieller Hinsicht um die Trons bestellt war. Sich von ihnen wegdrehend, sah Tron gerade noch, wie der dicke Calògero den Mund aufriss und dann etwas zu seiner Frau sagte, einen ungläubigen Ausdruck auf dem Gesicht.
    Aber Tron hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, ob Calògero die Kaiserin erkannt hatte oder nicht. Der Walzer hatte seine Fahrt aufgenommen, und jetzt kam es darauf an, die Kaiserin unbeschädigt durch die Menge der wirbelnden Paare zu steuern und ihr vor allem nicht auf die kleinen, perlenbestickten Atlasschuhe zu treten. Zu Trons Überraschungwar die Kaiserin eine ausgezeichnete Tänzerin. Ihre schmale, biegsame Figur ließ sich führen, ohne dass Trons rechte Hand einen unziemlichen Druck auf die kaiserliche Taille ausüben musste. Die Kaiserin schien jedes Mal auf eine wundersame Weise vorauszuahnen, in welche Richtung Tron sie lenken wollte. Sie wichen geschickt einem schwerfüßigen Domino aus, der eine üppige, als Marie Antoinette ausstaffierte Blondine über die Tanzfläche schob, streiften lachend einen befrackten Herrn, der die nachlässig maskierte und in eine rosige Krinoline gekleidete Comtesse de Chambord in den Armen hielt, und mit jeder Drehung des Tanzes schien die Kaiserin ausgelassener und übermütiger zu werden.
    Das Gesicht einer Frau mit einer schwarzen
baùla
und blonden Haaren flog an Tron vorbei. Plötzlich fiel ihm die Principessa ein, ihre grünen Augen und die Begegnung mit Haslinger im Fenice, aber dann stellte er fest, dass es unmöglich war, sich auf etwas zu konzentrieren, was außerhalb der Tanzfläche lag und außerhalb der paar Quadratmeter, über die ihre Füße glitten. Das Tempo des Walzers beschleunigte sich, und Tron sah, dass die Kaiserin unter ihrer Maske die Augen geschlossen hatte. Sie tanzten jetzt – völlig in den Wellenschlag des Dreivierteltaktes versunken   –, ohne ihre Umgebung noch im Einzelnen wahrzunehmen. Die vorbeihuschenden Paare hatten sich in ein Gewoge aus nackten Schultern, luxuriösen Halsbändern und phantastischen Masken aufgelöst, das sich zu den Klängen des Orchesters drehte und wiegte. Manchmal öffnete die Kaiserin ihre Augen, legte den Kopf in den Nacken und richtete ihren Blick auf das Deckenfresko der
sala.
Tron wusste, was sie sah: geflügelte Amoretten, die sich lächelnd an den

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