Schnee in Venedig
sagte der Fremde. Dann streckte er plötzlich seine Hand aus. «Haslinger aus Wien.»
Tron schüttelte Haslingers Hand. «Mein Name ist Tron.»
Haslingers Blick fixierte die Figur Niccolò Trons, dann Tron und anschließend wieder den Dogen. «Ist der Doge einer Ihrer …?»
Tron nickte.
Haslinger öffnete langsam seinen Mund und schloss ihn wieder. «Dann sind Sie also …»
Tron musste lächeln. «Alvise Tron.»
«
Commissario
Tron. Ich weiß genau, wer Sie sind. Wir haben gestern Abend über Sie gesprochen. Spaur und ich.»
Diesmal war es Tron, der überrascht war. «Ignaz Haslinger? Der Baron hatte erwähnt, dass ein Neffe von ihm auf der
Erzherzog Sigmund
gereist ist.»
Haslinger nickte. «Der bin ich. Wir haben gestern Abend zusammen gegessen.»
«Sie wissen, was passiert ist?»
«Ja, natürlich. Wir haben ausführlich darüber gesprochen. Aber ich konnte leider nichts dazu sagen. Ich habe …»
«Durchgeschlafen. Laudanum. Ich weiß.»
«Ja, leider.» Haslinger machte ein nachdenkliches Gesicht. «Ein Attentat auf die Kaiserin. Was soll damit erreicht werden? Und wer steckt dahinter? Meinen Sie, Garibaldis Rundreise durch die Lombardei hat etwas damit zu tun?»
Tron schüttelte den Kopf. «Das ist nicht der Stil Garibaldis.»
«Wessen Stil ist es dann?»
«Das müssen Sie den ermittelnden Offizier fragen.»
«Diesen, äh …»
«Oberst Pergen», sagte Tron.
Haslinger sah Tron aufmerksam an. «Spaur meint, Sie hätten Zweifel daran, dass es wirklich dieser Pellico gewesen ist.»
«Ich hätte mir einen ordentlichen Prozess gewünscht. Nicht diesen Selbstmord ohne ein richtiges Geständnis.»
«Werden Sie die Ermittlungen fortsetzen?»
Sie standen immer noch vor dem Grabmal Niccolò Trons, des Dogen, und Tron, der Commissario, fragte sich, was wohl sein Ahnherr, der ein kluger Mann gewesen sein musste, zu einer solchen Frage gesagt hätte. «Ich weiß es nicht», antwortete Tron.
Haslinger lächelte. Ein, zwei Minuten lang schwiegen beide. Dann sagte Haslinger unvermittelt: «Sind Sie auf dem Weg in die Questura?»
«Ja, aber ich muss vorher zum Markusplatz.»
«Ich kann Sie mitnehmen. Meine Gondel wartet am Ponte dei Frari.»
Tron lehnte Haslingers Angebot höflich ab. «Danke, aber ich gehe lieber zu Fuß.»
«Phantastisch», sagte Haslinger, als sie ein paar Minuten später draußen vor der Kirche standen.
Tron sah zum Himmel auf und musste Haslinger Recht geben. Ein kräftiger Westwind hatte alle Feuchtigkeit aus der Luft geweht. Es herrschte ein unvenezianisch klares Licht, in dem alles so aussah, als wäre es mit dem spitzen Bleistift gezeichnet. An solchen Tagen konnte man vom Altan des Palazzo Tron aus die Alpen sehen.
Zwei Offiziere in Begleitung von zwei jungen Frauen in taillierten Reisekostümen überquerten den Ponte dei Frari und liefen an ihnen vorbei. Einer der Offiziere bemerkte etwas zu der Frau an seiner Seite, die daraufhin zu lachen begann.
«Das hätte es zu meiner Zeit nicht gegeben», meinte Haslinger kopfschüttelnd. «Offiziere, die am helllichten Tag mit jungen Damen durch die Stadt spazieren.»
«Sie waren Offizier?»
«Bei den Linzer Dragonern. Aber im Sommer 1848, nach der Rückeroberung Mailands, da …», Haslinger suchte nach den richtigen Worten, «… da ging es nicht mehr. Ich habe um meine Entlassung gebeten.»
«Und warum?», fragte Tron.
Haslinger schwieg. Ein paar Sekunden lang blickte er ins Leere. Dann hob er resignierend die Schultern und lächelte melancholisch.
«Ich kann kein Blut sehen», sagte er.
Tron sah ihm nach, wie er zu seiner Gondel ging. Er fragte sich, warum ein Mann, der kein Blut sehen konnte, überhaupt Soldat geworden war.
17
Elisabeth betritt den Markusplatz an der Schmalseite des lang gestreckten Trapezes, das die Piazza San Marco bildet. Der Nieselregen hat aufgehört, und im Windschatten der neuen Prokurazien ist es für einen Februarnachmittag erstaunlich warm. Wie immer, wenn Elisabeth spazieren geht, ist sie mit kleinem Gefolge unterwegs. Neben den Königseggs begleiten sie nur noch zwei Leutnants in Zivil. DieLeutnants halten sich in der Regel ein paar Schritte abseits; auf diese Weise bleibt der private Charakter ihrer Spaziergänge gewahrt. Das hat Elisabeth immer an Venedig gefallen – dass die Leute hier kein Aufhebens um ihre Person machen. Wer sie erkennt, guckt entweder indigniert weg – viele Italiener verhalten sich so, und in gewisser Weise hat Elisabeth Verständnis dafür
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