Schneegestöber (German Edition)
Schritte hinter sie zurückfallen lassen, doch Kitty forderte ihn mit einer energischen Handbewegung auf, neben ihr zu reiten. Das hatte sie noch mit keinem Pferdeknecht gemacht. Allerdings hatte sie auch noch bei keinem Lust verspürt, sich mit ihm zu unterhalten. Er vertraute ihr also. Wirklich ein seltsamer Bursche, dieser Al Brown.
»Ein Pferdeknecht sollte nicht zu vertrauensselig sein«, belehrte sie ihn.
»Bin ich ja nicht, Missy. Aber Ihnen kann ich wohl trauen. Klar kann ich das. Auch wenn Sie vielleicht glauben, Sie wären froh, wenn ich mir das Genick bräche, so sind Sie’s doch nicht. Denn dann käme ein neuer Pferdeknecht und diesmal wirklich von Mylady, der Tante. Und das wollen Sie doch ganz gewiß nicht. Was verständlich ist, denn wer will schon einen Spion im eigenen Stall. Hab ich recht, Missy?«
Kitty mußte lächeln. Der Bursche war schlau, kein Zweifel. Doch das würde sie nicht zugeben: »Seien Sie sich da nicht so sicher«, sagte sie daher kühl. »Und nennen Sie mich nicht immer Missy. Das ist völlig unangebracht.«
Al grinste frech: »Gut, geht klar«, sagte er fröhlich. »Ich werd Kitty zu Ihnen sagen, das gefällt mir sowieso besser.«
Er sah, daß ihn seine Herrin sprachlos, mit blitzenden Augen, zornig anfunkelte. Da trieb er sein Pferd an und rief, so als würde er sich tatsächlich vor ihr fürchten: »Hilfe, zu Hilfe! Meine Herrin will mich ermorden! So rettet mich, zu Hilfe!« Er galoppierte quer über das Felddavon und fuchtelte dabei aufgeregt mit dem linken Arm in der Luft herum. Kitty hatte alle erdenkliche Mühe, ihm zu folgen. Zum einen konnte sie vor Belustigung die Zügel kaum halten, zum anderen legte Firefly ein Tempo vor, das Salomon kaum mithalten konnte. Bei der nächsten Hecke zügelte Al sein Pferd und wartete gespannt, bis Kitty näher kam. Mit geröteten Wangen und lachendem Gesicht blieb sie neben ihm stehen. »Sie sind ein unmöglicher Mensch, Mr. Brown«, rief sie aus. »Hat Ihnen denn noch niemand Manieren beigebracht?«
»Sie sind die erste, Missy«, sagte er freundlich.
»Na, ich weiß nicht, ob ich damit Erfolg haben werde«, entgegnete sie daraufhin mit ernstlichen Zweifeln. »Mit Pferden können Sie allerdings umgehen. Das muß man Ihnen lassen. Und das ist eigentlich das wichtigste, wenn man es genau bedenkt.«
VI.
»Findest du, daß mir die Frisur gut gelungen ist?« Kitty saß vor ihrer kleinen Kommode und betrachtete sich kritisch im Spiegel. »Oder findest du, die Seidenblumen im Haar wirken zu affektiert?«
Mary Ann warf ihr einen nervösen Blick zu: »Du siehst sehr hübsch aus«, sagte sie fahrig. »Wirklich, Kitty, es könnte nicht besser sein. Kannst du mir bitte helfen, das Kleid zuzuhaken?«
Kitty erhob sich sofort. Mary Ann riß ihre Augen auf: »Um Himmels willen, was hast du denn mit deinem Kleid gemacht?« rief sie erschrocken.
Kitty hob rasch ihren Zeigefinger an die Lippen: »Pst. Nicht so laut! Willst du, daß Mrs. Clifford auf uns aufmerksam wird? Ich habe die Unterröcke angefeuchtet, das ist alles.«
»Du hast was? Das kann ich einfach nicht glauben. Wozu soll denn das gut sein? Draußen ist es bitter kalt. Du wirst dir den Tod holen.«
»In der letzten Ausgabe von La belle Assemblee stand, daß alle jungen Damen in London ihre Unterkleider anfeuchten«, verteidigte sichKitty. »Es heißt, dadurch würden die Formen des Körpers erst so richtig hervorgehoben. Die Männerwelt soll hingerissen und begeistert sein. Denkst du, Jasper wird es gefallene«
Mary Ann zog die Nase kraus: »Ich weiß nicht, was einem Mann gefällt«, erklärte sie. »Männer haben oft einen seltsamen Geschmack. Mir jedenfalls erscheint dein Kleid beinahe unanständig. Lady Farnerby würde dir nie erlauben, etwas Derartiges zu tragen.«
Kitty kicherte: »Wohl kaum«, bestätigte sie. Mary Ann hatte ihr den Rücken zugedreht und die langen roten Locken mit beiden Händen hochgehoben. Mit geschickten Fingern schloß Kitty die Häkchen des Kleides. »Nun laß dich ansehen, Annie.«
Mary Ann drehte sich um und blickte ihrer Freundin mit verlegenem Lächeln entgegen. Kitty beäugte sie kritisch von oben bis unten, dann nickte sie zufrieden: »Du siehst großartig aus, Mary Ann. Ich hätte nie gedacht, daß dieses schlichte, dunkle Kleid deine Vorzüge so perfekt hervorheben würde. Mrs. Millcock hat wirklich ein fachkundiges Auge. Wenn es dir heute nicht gelingt, den guten Bernard für dich zu gewinnen, dann weiß ich nicht, was du sonst noch tun
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