Schneerose (German Edition)
schreien
will, berührt der erste Tropfen ihre Zunge. Er ist süß wie Honig. Wärme breitet
sich tief in ihrem Körper aus, strömt wie eine heiße Quelle durch sie hindurch,
berührt jede Faser ihres Körpers und bringt all den Schmerz in ihr zum Platzen.
Fügt alles zusammen, was kaputt war, macht sie wieder heil und rein. Vergessen
sind die Angst und die Einsamkeit, zurück bleibt nur Wärme und Glück. Als sie
die Augen aufschlägt blickt sie in Augen so rot wie Blut, bevor ein gleißendes
Licht sie umfängt.
‚Komm schon, Lia, geh endlich ran!’ , frustriert legt Lindsay
auf, als sich wie seit zwei Uhr nachts nur die Mailbox meldet. Wahrscheinlich
ist ihr Akku leer oder jemand hat es ausgestellt. Es wäre gelogen, wenn sie
behaupten würde, dass sie erst jetzt anfangen würde sich Sorgen zu machen.
Sorgen hatte sie sich schon gemacht als sie zurück in die Gasse kam und nur
noch Bradleys schwachsinnige Freunde, bewusstlos am Boden lagen, aber von Lia
und Bradley keine Spur mehr zu sehen war. Niemals wäre Lia freiwillig mit
Bradley gegangen. So tief könnte selbst sie nicht sinken und schon gar nicht
nachdem was passiert ist.
Die Polizei sucht zwar nach Lia und hat auch ihren
Vater informiert, aber man weiß ja, wie das ist. Bis die endlich mal jemanden
finden, ist schon längst alles vorbei. Lindsay könnte sich nie verzeihen, wenn
Lia etwas zustoßen würde und sie nur tatenlos rumgesessen wäre im Vertrauen auf
die Polizei. Nein, sie muss selbst etwas tun und zwar sofort.
Schnell tauscht sie ihren hellblauen Häschenschlafanzug gegen eine
Stoffhose, Top, Cardigan und Stiefel. Alles natürlich in Schwarz. Das einzige
Highlight bildet ihr rosa Seidenschal, passend zu ihrer rosa Haarsträhne.
Mit lautem Trampeln stürmt sie die Treppe runter, bereits auf dem Weg zur
Haustür. Aus der Küche trällert ihre Mutter fröhlich „We wish you a merry
christmas“, welches schlagartig abbricht.
„Wohin soll es denn so eilig gehen?“
Nachdem Lindsay gestern von der Polizei nach Hause gebracht wurde, war
natürlich auch ihre Mutter vollkommen aus dem Häuschen. Sie mochte Lia immer
gerne und teilt deshalb Lindsays Sorge, trotzdem duldet sie es nicht, dass
irgendjemand der Familie Sullivan das Haus ohne ein Frühstück verlässt.
„Ich muss nach Lia suchen.“, erwidert Lindsay flehend und weiß, dass sie
damit bei ihrer Mutter auf taube Ohren stoßen wird. Genau wie erwartet hebt
diese nun die Augenbrauen und schaut ihre Tochter tadelnd an. Im Gegensatz zu
Lindsay vertraut sie der Polizei nämlich voll und ganz.
„Ich möchte nicht, dass du dich in irgendwelche Gefahren begibst. Die
Polizei tut sicher was sie kann.“
Genervt rollt Lindsay mit den Augen und kneift die Lippen zusammen, wobei
es in ihrer Nase unangenehm ziept. Sie ist gebrochen, weshalb sie jetzt mit
einer Art Maske rumlaufen muss wie Hannibal Lecter im Hochsicherheitstrakt. Sie
hätte den Arzt in der Notaufnahme verfluchen können. Der Umstand, dass ihre
sonst so eitle Tochter bereit ist in diesem Zustand vor die Tür zu gehen,
überzeugt selbst ihre Mutter, die nun nachgiebig seufzt.
„Na gut, von mir aus kannst du gleich für ein paar Stunden raus gehen,
aber erst wird gefrühstückt und nur wenn du mir nicht versprichst, dich nicht
alleine auf die Suche zu begeben.“
Behutsam, aber bestimmend, legt Valerie Sullivan ihren Arm um die
Schulter ihrer Tochter und führt sie „Rudolph the red nosed rentier“ summend in
das Esszimmer, wo bereits ihr Vater und ihre 13- jährige Schwester Ariana
warten. Vor dem Kamin hängen schon die geringelten Weihnachtsstrümpfe und der geschmückte
Tannenbaum steht vor dem Fenster. Hell leuchtet er durch die vielen kleinen
Glühkerzen. Der Duft von Plumpudding und Eierpunsch liegt in der Luft.
Ariana mustert Lindsay
herablassend. „Du siehst scheiße aus!“
„Ariana!“, kommt es sofort empört von ihrer Mutter als sie sich ihrem
Mann gegenüber an den Familientisch setzt.
„Was denn? Ist doch so! Ich weiß auch gar nicht was sich alle so Sorgen
um diese komische Lia machen. In der Schule erzählt jeder, sie sei eine
Schlampe. Bestimmt ist sie nur mit dem Typ nach Hause gegangen.“
„Halt am besten die Klappe, wenn du keine Ahnung hast!“, schießt ihr
Lindsay erbost entgegen.
„Na, na, Mädchen, nicht in diesem Ton. Wenigstens zu Weihnachten möchte
ich meine Ruhe haben.“, tadelt nun ihr Vater. Ariana zuckt mit den Schultern
und dreht sich eine ihrer platinblonden
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