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Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Titel: Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Wittekindt
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Kristina Geneviève nicht geholfen? Was glaubst du?«
    »Weiß nicht, vielleicht, weil sie besoffen war.«
    »Aber sie gehörte nicht zu Philippe.«
    »Nein, glaube ich nicht. Sie ist ja dann auch weggelaufen, Geneviève hinterher.«
    »Und dann ist Philippe hinter ihr her gelaufen.«
    »Ja.«
    »Könnte man nicht auch sagen, dass Kristina und Philippe gemeinsam Geneviève hinterher gelaufen sind?«
    »Ja, natürlich. Theoretisch könnte man das sagen.«
    »Danke, Thomas.«
    Warum werd ich aus dir nicht schlau, Philippe? Warst du an der Lichtung oder nicht?
    Als nächstes sieht sich Grenier noch einmal die Karte an, auf der Conrey die Wege eingetragen hat, die Philippe in der Nacht möglicherweise gegangen ist. Nach ihrem bisherigen Ermittlungsstand spricht alles dafür, dass er Geneviève und Kristina im Nebel aus den Augen verloren hat. Schon am See.
    Grenier muss dahinterkommen.
    Sie setzt sich ins Auto und fährt noch mal zum Wald von Fleurville. Stellt ihren Wagen am Parkplatz ab, umrundet den See und bleibt schließlich auf der anderen Seite am Waldrand stehen. Jetzt, wo sie hier steht und sich vorstellt, was Philippe vielleicht empfunden und gedacht hat, ist es eigentlich ganz klar. Man sucht eine Orientierung, man rennt nicht irgendwo in den Wald.
    Also geht sie diesmal nicht in den Wald, nimmt nicht den Weg, den man nimmt, wenn man weiß, dass oben auf der Lichtung das Haus von Madame Darlan steht. Marie Grenier geht am Waldrand entlang. Es liegt nur noch wenig Schnee.
    Sie geht immer weiter, immer am Waldrand entlang. Und irgendwann kommt ihr die Zielstrebigkeit ein wenig abhanden. Es ist ein schöner Tag, und Marie Grenier denkt wieder sich und Albert. Warum bin ich seit so vielen Jahren allein? Sie hatte doch Glück mit den Männern gehabt. Albert war nicht anders als die Männer, mit denen sie es vorher versucht hatte. Er war unkompliziert, vernünftig und sehr einfühlsam. Vielleicht ein bisschen zu einfühlsam, aber das waren die Männer von heute ja alle.
    Marie Grenier befürchtet auf einmal zu wissen, was ihr beiall ihren Männern gefehlt hat. Widerspruch. Fremdheit, Abstoßung. Nein! Sie bleibt stehen, ist entsetzt von diesen Gedanken und … Als sie ihre sonderbare Ahnung gerade überprüfen will, hört der Gedanke mittendrin auf. Einfach weil etwas anderes ihre Aufmerksamkeit komplett beansprucht.
    Ganz harmlos liegt er da. Fast vier Kilometer vom Tatort entfernt.
    Erst findet sie den einen. Und dann, hundert Meter weiter, den zweiten Handschuh. Bis hier bist du also gelaufen! Vielleicht war er sogar noch weitergegangen, ehe er umdrehte und schließlich doch irgendwo in den Wald ging, dahin, wo sie ihn gefunden hatten.
    Warum hat er sie hier ausgezogen? Weggeworfen? Panik? Hat er von hier aus versucht zu telefonieren?
    Marie Grenier muss an einen Bericht über die tödliche Polarexpedition von Robert Falcon Scott denken. Sie hat sich mal damit beschäftigt. Mit Polarexpeditionen. Sie hat etwas übrig für die Kälte.
    Im Kommissariat untersucht Grenier die Handschuhe. Sie findet keine Rostpartikel. Das war auch kaum zu erwarten gewesen. Allein für die Strecke vom Parkplatz bis zu der Stelle, wo Grenier die Handschuhe fand, hatte sie fünfzig Minuten gebraucht. Von da bis zum Fundort der Leiche waren es noch mal dreißig Minuten. Und auch nur, weil sie genau wusste, wohin sie gehen musste, und weil es Tag war. Achtzig Minuten, mindestens! Zu diesem Zeitpunkt war oben am Schuppen längst alles vorbei gewesen.
    Jetzt endlich kann sie Philippe als Täter endgültig ausschließen.

    Es ist schwer, in Marie Greniers Gesicht zu lesen. Ein hübsches Gesicht. Eine schöne junge Frau. Aber was war ihre Motivation, weiterzumachen? Ihre Auffassung von Arbeit?
    Grenier mag ihre Arbeit. Für sie ist Arbeit die beste aller Möglichkeiten, zu sich selbst zu finden, Wirklichkeit zu produzieren. Oh nein! Nicht Wirklichkeit im höchsten Sinne.Ihre Wirklichkeit. Ihre kleine, ganz persönliche Wirklichkeit. Ihr Leben.
    Schön, aber in diesem Fall? Was war das, dieses merkwürdige, äußerst fleißige Nacharbeiten, das ins Kleinste gehende Aufklären letzter Möglichkeiten, nachdem doch eigentlich alles klar war?
    Ein Akt von Solidarität? Wollte sie Roland Colberts Theorie, dass Kristina Philippe deckt, überprüfen, um ihn zu rehabilitieren? Aufrichtig zu rehabilitieren, indem sie, ganz in seinem Sinne, die unvoreingenommene Vernunft, die empirische Methodik wieder an oberste Stelle setzte, selbst auf die Gefahr

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