Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern
meiner Oma! Außerdem habe ich Geneviève im
Chaise Longue
geküsst.«
Roland Colbert hat alles falsch gemacht. Oder liegt es an Max? Daran, dass er sich sofort angegriffen fühlt? Kein Verhör, nur Informationen!
»Warum hast du dich erst jetzt gemeldet?«
»Ich war in Deutschland.«
Plötzlich hat Roland Colbert eine Ahnung. »Wie alt bist du? Siebzehn?«
»Ja.«
»Hast du den Wagen gefahren?«
Keine Antwort.
»Du bist gefahren, stimmt’s?«
»Ich habe einen vorläufigen Führerschein. Mein Vater ist behindert, und meine Mutter kann nicht fahren.«
»Ohne Begleitung?«
Max sagt nichts.
»Ist das dein Wagen? Der Admiral?«
»Ja.«
Er ist nervös. Aber wegen des Führerscheins!
Roland Colbert blickt aus dem Fenster. Man sieht nicht viel. Ein paar Häuser im Vordergrund, dahinter beginnen Felder, dahinter ein Hügel mit ein paar Bäumen. Alles ist weiß. Roland Colbert merkt, wie die Landschaft ihn beruhigt. Er hat schon viele Menschen in diesem Raum verhört. Seine Regel, erst Informationen, dann das Verhör, hat sich immer wieder bewährt. Trotzdem gibt es bei manchen Verdächtigen diesen Reflex, sofort loszulegen mit den direkten Fragen. ImNachhinein weiß er, dass er sich auf diesen Instinkt nicht verlassen kann. Er muss ruhig bleiben. Versuchen, dem anderen die Angst zu nehmen. Aus kleinen Ängsten heraus wird mehr gelogen als gut ist für die Ermittlungen. Und die Landschaft vor dem Fenster war immer verlässlich. Sich beruhigen. Sich auf den anderen einstellen. Freundlich sein. In keinem Fall darf er Max Angst machen. Es geht hier nicht darum, ob er einen Führerschein hat oder ob der Wagen geklaut wurde. Das kann warten. Im Moment geht es nur darum, so viel wie möglich darüber zu erfahren, was am Parkplatz und später oben auf der Lichtung passiert ist.
»Guck mal, Max. Es ist viel Zeit vergangen, seit du dich im
Chaise Longue
betrunken hast. Niemand ist in der Lage, dir jetzt noch nachzuweisen, dass du an dem Abend betrunken warst. Ich bin auch schon betrunken Auto gefahren. Das soll man nicht tun, das weißt du … Du hast verstanden, was ich damit sagen will?«
»Ich glaube schon.«
»Gut. Du bist unser einziger Zeuge. Du musst uns helfen, den Mörder von Geneviève zu finden. Darum geht es, nicht darum, ob du vielleicht betrunken Auto gefahren bist.«
»Ich hatte Angst wegen meinem Führerschein. Ich war in Deutschland und hab erst gestern Abend gehört, dass Geneviève tot ist. Ich hatte gehofft, dass alle zurückgekommen wären, ich hab bei der Polizei angerufen, dass sie jemanden rausschicken, weil … Ich dachte, dass ich besser der Polizei Bescheid sage. Ich hatte kein Handy dabei, also bin ich zurückgefahren … Ich war sowieso total durcheinander, ich … ich saß mit Thomas im Auto und … auf einmal war er weg und … ich hab im ersten Moment nur daran gedacht, Thomas zu retten, ich … ich hab an ganz vieles, was ich hätte tun sollen, erst später gedacht.«
Er sieht den Kommissar an, der nickt. Ob er das aus Gründen der Taktik tut oder weil er ihm glaubt, könnte er selbst im Moment gar nicht sagen. Es geht im Moment nur darum, so viel wie möglich herauszufinden.
»Glauben Sie mir das, Herr Kommissar? Ich hab wirklich an all das nicht gedacht in dem Moment. Nur daran, ob ich abhauen soll oder auf Thomas warten.«
»Wie war das, als du dann angerufen hast?«
»Da war ich schon zu Hause und … dann war das Gespräch plötzlich weg. Ich dachte erst, das ist eine Fangschaltung oder so und … dann hab ich gemerkt, dass einfach der Akku leer war, in unserem Telefon, und hab noch mal angerufen. Weil … Meine Schwester legt das Telefon nie auf die Ladeschale zurück, wenn sie mit ihrer Freundin gequatscht hat. Ich hab ihr das schon so oft gesagt, ich…«
»Das ist im Moment nicht so wichtig, Max.«
»Aber Sie glauben mir doch!«
»Das mit deiner Schwester glaube ich dir.«
Einen kurzen Moment lang passiert nichts. Dann lächelt Roland Colbert. Ein kleines Lächeln mit einer Hälfte des Munds. Max versteht, wie die letzte Bemerkung gemeint war. Er lächelt auch. Zum ersten Mal.
Roland Colbert versteht, dass er es mit einem ganz normalen Jungen zu tun hat, und Max akzeptiert, dass der Kommissar nicht so gefährlich und böse ist, wie er annahm.
Die komische Stimmung ist sofort da, bei Ohayon. Ihm ist eng geworden. Mehr im Bauch als in der Brust. Er kommt sich klein vor. Noch kleiner als sonst. Der große, rote Backsteinbau. Das Gymnasium!
Er hatte es erst im
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