Schneespuren gibt es nicht (German Edition)
ausschließen. Liebend gern wäre der Förster heute Vormittag selbst auf die Pirsch gegangen, doch die Wildfütterung ging vor, weshalb er seine eigenen Jagdwaffen zu Hause ließ. Der Schuss war längst verhallt. Die Waldesruhe wirkte in Verbindung mit dem Schneefall bezaubernd. Es war, als ob man in einer Märchenwelt gelandet war. Der Förster verdrängte den Vorfall gedanklich. Wer weiß, was da los war? Vielleicht hatte ein Autofahrer einen Wildunfall gehabt, und die herbeigerufene Polizei musste ein angefahrenes Reh oder eine Wildsau von ihrem Leiden erlösen. „Das kommt in dieser Gegend öfter vor“, murmelte er, als ob ihm jemand zuhörte. Dann zerriss ein zweiter Schuss die Stille. Wieder schmetterte das Echo mehrfach den Knall durch den Wald. Jetzt war alles klar. Schüssler kramte umständlich sein Handy aus der Innentasche seines Winterparkas. Es zeigte einen Balken an. Genug, um den Notruf zu wählen. „Polizeieinsatzzentrale. Mit wem spreche ich, und wie kann ich Ihnen helfen?“ „Grüß Gott! Mein Name ist Schüssler. Ich bin Förster im Landkreis Garmsich-Partenkirchen ...“, stellte sich der Weidmann vor. Anschließend erzählte er von den Schüssen, versuchte die Gegend einzugrenzen, in der sich der Schütze aufhalten musste, und erklärte den Anfahrtsweg. Am Ende des Gesprächs nannte Schüssler noch seine Telefonnummer, versprach dem Polizisten am anderen Ende der Leitung, dass er nichts auf eigene Faust unternehmen wird, und sicherte zu, mit seinem Jeep zur nächsten Straße zu fahren, um sich mit einer Polizeistreife zu treffen. „Wie lange muss ich denn warten?“ „Ich gebe den Einsatz gleich weiter. Je nachdem, wie viele Unfälle bei diesem Wintereinbruch abzuarbeiten sind, kann es natürlich etwas dauern.“ Leicht unzufrieden bezüglich der laschen Auskunft über den Zeitraum des Eintreffens einer Polizeistreife, machte sich der Förster auf den Weg zu seinem Jeep. „Scheißwetter!“, fluchte er. Herr Schüssler zog die Wollmütze tiefer ins Gesicht, zog sich zusätzlich die Kapuze seines Parkas über und stapfte los. Als er endlich am Fahrzeug angekommen war, befreite er mit einem kleinen Handbesen die Scheiben vom Schnee. Er stieg ein und knallte die Tür zu. Der Motor sprang sofort an. Es klackte ein wenig, als der erste Gang eingelegt wurde. Das Kupplungspedal quietschte. Langsam rollte der Förster den Weg entlang. Gedanklich war er schon wieder bei seinen Bäumen. „Wenn das mit dem Schnee so bleibt, wird es ziemlich viel Schneebruch geben“, stellte er fest. Schüssler erreichte die Weggabelung. Obwohl er weit und breit allein war, setzte der pedantische Mensch den Blinker. Wieder sprach er mit sich selbst. „Der Fahrtrichtungsanzeiger ist im Straßenverkehr ein wichtiges Kommunikationsmittel! Auch hier im Wald wollen wir nicht den behördlichen Schlendrian einkehren lassen.“ Auf dem Waldweg lagen bereits mehrere Zentimeter Neuschnee. Längere Astausläufer oder dünnere Zweige bogen sich bereits jetzt extrem nach unten. Schüssler hatte das Gefühl, als führe er durch einen Hohlweg oder Tunnel. Bald hatte er die Straße, und somit den Treffpunkt mit der Polizei, erreicht. Etwas schemenhaft tauchte ein Hindernis vor ihm auf. Obwohl der Förster ohnehin kaum schneller als Schrittgeschwindigkeit fuhr, verringerte er noch einmal das Tempo. Mitten auf dem Weg stand ein Auto. Es musste schon eine geraume Zeit stehen, da es komplett vom Schnee bedeckt war. Dass es sich um ein Taxi handelte, erkannte er am überstehenden Taxenschild. „Nicht in meinem Wald!“, schimpfte der Förster. Schüssler hielt an und stieg aus. Er ging einmal um den Mercedes herum. Neugierig wanderte eine Hand an den Türgriff auf der Fahrerseite. „Versperrt!“, murmelte er. Zurück im Jeep wählte er zum zweiten Mal den Notruf. Der Empfang ließ zu wünschen übrig. Schüssler fuhr so weit rückwärts, bis ein Balken an seinem Handy zu sehen war. Wahlwiederholung. „Polizeinotruf!“, vernahm er diesmal eine angenehm klingende weibliche Stimme. Sie hatte den typischen, unverkennbaren Akzent der Bundeshauptstadt. „Wat kann icke für Sie tun?“ Im Hintergrund glaubte der Oberbayer Gelächter und Getuschel zu hören, war aber zu aufgeregt, um sich sofort zu beschweren. „Ich glaube, ich bin im falschen Bundesland rausgekommen“, nuschelte er leicht verwundert in sein Mobiltelefon. „Ich wollte den Notruf hier in Garmisch!“ „Sie sind richtig!“, teilte die Polizistin mit. Ihre Stimme,
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