Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
will. Und das nicht erst seit Facebook und Co.« Sein Kichern ließ die Polyesterdecke erzittern. »Allmächtiger! Kein Mensch hat dreiundneunzig Freunde! … Aber lassen wir das. Mario jedenfalls lebte sein Leben, und ich lebte meins. Und ich müsste lügen, zu behaupten, dass es mich je geschert hätte, wie es ihm ging. Ganz egal, wie das nach außen vielleicht gewirkt haben mag.«
»Sah Mario Belting Ihre Beziehung genauso … abgeklärt?«, fragte Winnie.
»Woher soll ich das wissen?«
»Immerhin hat er Sie zu seinem Testamentsvollstrecker ernannt.«
Olivier stöhnte laut auf, dieses Mal jedoch nicht vor Schmerzen. »Ja, verdammte Scheiße, und ich hätte den Dreckskerl umbringen können dafür.«
Wer weiß, ob das zu diesem Zeitpunkt nicht vielleicht schon ein anderer erledigt hatte, dachte Winnie trocken. Laut sagte sie: »Wieso umbringen? Er scheint Ihnen vertraut zu haben. Das ist doch was Schönes, oder?«
»Ach was, er wollte mich nur ärgern.«
»Ärgern? Womit?«
»Es gab bei diesem Testament nichts zu regeln und erst recht nichts zu streiten«, echauffierte sich Olivier. »Das bisschen, was die Steuer übrig ließ, floss in irgendwelche beknackten Stiftungen.«
»Darf ich fragen, über was für ein Vermögen wir hier sprechen?«
Olivier bedachte sie mit einem kurzen, misstrauischen Blick. »Nicht der Rede wert, zweihunderttausend, wenn’s hoch kommt.«
Das ist wirklich nicht viel, dachte Winnie. Nicht, wenn man bedenkt, mit was für Geschäften Mario Beltings Name in Verbindung gebracht wird …
Sie musterte ihr Gegenüber und versuchte sich vorzustellen, wie Kaspar Olivier als junger Mann ausgesehen hatte. Aber es wollte ihr beim besten Willen nicht gelingen.
»Wie gesagt war unser privater Kontakt seit der Ausbildung gleich null«, keuchte ihr Gesprächspartner, dem die Stille augenscheinlich zu lange dauerte. »Auch wenn wir uns in unserem Job natürlich immer wieder mal über die Füße gelaufen sind. Zu allen passenden und unpassenden Gelegenheiten.«
»Und bei diesen Gelegenheiten lebte der Kontakt nicht wieder auf?«, hakte Winnie noch einmal nach.
Olivier schüttelte den Kopf. Eine minimale und trotzdem überaus entschiedene Geste. »Wir sagten guten Tag und guten Weg, und das war’s.«
Entweder er lügt, dachte Winnie, oder aber Belting hatte einen konkreten Hintergedanken, als er Olivier mit der Regelung seines Nachlasses betraute. Seltsamerweise fiel ihr dabei wieder eine Notiz aus Briedens Akte ein:
Hesperus eventuell bereit, gegen I. auszusagen. Zeugenschutzprogramm obligat.
Vielleicht hatte Belting die Organisation zu diesem Zeitpunkt bereits satt, überlegte Winnie. Vielleicht wusste er nicht mehr, wem er trauen konnte. Oder er fürchtete, dass seine Mitbrüder ihn eines Tages umbringen würden, und wollte ganz bewusst vermeiden, dass einer von denen über sein Erbe verfügte.
»Sind Sie und Mario auch mal ernsthaft aneinandergeraten?«, wandte sie sich wieder an ihren Gesprächspartner. »Fachlich, meine ich?«
»Wir waren Gegner, wann immer wir uns über den Weg liefen«, antwortete Olivier achselzuckend. »Das lag in der Natur der Sache.«
»Sie meinen, weil Sie zwei verschiedene Lager vertraten?«
Er nickte nur. Gelangweilt, wie ihr schien.
Winnie dachte an Will Papens Weingut und ertappte sich bei der Überlegung, in was für einer Art von Haus Kaspar Olivier bis zu seinem Umzug ins Hospiz gelebt haben mochte. Sie tippte auf ein ebenso steriles wie teures Loft im Frankfurter Süden. Viel Chrom, viel Glas und noch mehr nackter Beton, aufgelockert von ein paar dezent platzierten modernen Kunstwerken, die ein kleines Vermögen gekostet hatten, aber nicht danach aussahen.
Ja, dachte sie, das würde passen …
»Worüber denken Sie nach?«, fragte der ehemalige Strafverteidiger aus wimpernlosen Eulenaugen, denen nicht das kleinste Detail zu entgehen schien.
Winnie sah ihn an und musste unwillkürlich schmunzeln. »Wie Sie gelebt haben.«
Erst als der Satz heraus war, fiel ihr auf, wie doppelbödig er war. Und wie schlimm er sich im Grunde anhörte.
Doch Kaspar Olivier lachte nur. »Und?«, fragte er. »Zu welchem Schluss sind Sie gekommen?«
Sie beschrieb ihm, woran sie gedacht hatte, wobei sie ihre Phantasie noch ein wenig ausschmückte, um ihn aufzuheitern.
»Gar nicht so schlecht geraten«, knurrte er, als sie fertig war. »Ehrlich gesagt konnte ich mich noch nie für diese bürgerliche Gemütlichkeit begeistern. Übrigens ebenso wenig wie für diesen
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