Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
gnadenlos.
»Er hat mir so leidgetan«, schluchzte ihre Zeugin. »Achim war… Er war immer so lieb, verstehen Sie?«
Ja, ja, dachte Winnie, und ’n Ei aus’m Konsum!
»Wissen Sie denn auch etwas über sein Leben aus der Zeit vor seiner Festnahme?«
Miriam Bandows Augen schwammen in Tränen. »Leider nicht viel. Ich glaube, er hatte keine besonders gute Kindheit.«
Natürlich nicht, dachte Winnie, irgendwer musste an der ganzen Misere ja schließlich schuld sein!
»Hat er irgendwen erwähnt, der ihm was wollte?«, fragte sie. »Oder eine alte Rechnung, die noch offen gewesen wäre?«
»Nicht dass ich wüsste. Außer vielleicht …«
»Ja?«
»Na ja, früher. Vor seiner Verhaftung, meine ich. Da hatte er eine Kollegin, mit der er sich nicht besonders gut verstanden hat.«
»Wissen Sie zufällig, wie diese Kollegin hieß?«
Kopfschütteln. »Es kam mir nur so vor, als ob er irgendwie … wütend auf sie gewesen wäre.«
»Wütend?«
»Na, ärgerlich eben. Ich habe ihn natürlich danach gefragt. Aber er sagte nur: ›Das ist vorbei, und ich will nicht weiter darüber nachdenken.‹«
Interessant, dachte Winnie. »Und während seiner Haftzeit?« Sie kramte ein Tempo aus ihrer Handtasche und hielt es Miriam Bandow hin. »Gab es im Gefängnis vielleicht jemanden, mit dem er nicht klarkam?«
»Ich glaube, die anderen Häftlinge waren ziemlich gemein zu ihm«, entgegnete ihre Zeugin, und Winnie überlegte, ob Miriam Bandow eigentlich bewusst war, dass sie über Ackermann sprach wie über einen Erstklässler. »Aber mit denen wollte Achim sowieso nie was zu tun haben.«
»Und andere Kontakte?« Winnie schlug die Beine übereinander. »Hat Ihr Verlobter sich zum Beispiel auch noch mit anderen Frauen geschrieben?«
Der Blick, mit dem Miriam Bandow sie bedachte, hätte Stahl zerschneiden können. »Warum hätte er das machen sollen?«
Zwecklos, dachte Winnie, während sie in Gedanken notierte:
M. B. kann ausgesprochen unangenehm werden, wenn sie in die Enge getrieben wird …
»Okay«, versuchte sie es noch einmal auf die freundschaftliche Tour. »Mal abgesehen von der Wohnung, die Sie beide suchen wollten … Was hatte Ihr Verlobter für Pläne für die Zeit nach seiner Entlassung?«
»Er hat daran gedacht, eine Umschulung zu machen.«
»Als was?«
»Bürokaufmann.«
Keine schlechte Idee, dachte Winnie sarkastisch. Als Pfleger hätte ihn vermutlich niemand mehr eingestellt.
»Wissen Sie, ob er darüber schon konkrete Gespräche geführt hat? Mit seinem Sozialarbeiter, zum Beispiel. Oder mit dem Jobcenter?«
»Das musste er gar nicht.« Miriam Bandow lächelte stolz. »Ich hatte schon lange vor seiner Entlassung mit meinem Chef gesprochen, und er wollte Achim kennenlernen, sobald er raus ist.«
»Raus und aus Griechenland zurück«, konnte Winnie sich nicht verkneifen zu ergänzen.
»Das kann, wie gesagt, nur ein Irrtum sein«, wiederholte ihre Gesprächspartnerin. »Sonst hätte er mir davon erzählt.« Sie betrachtete das zusammengeknüllte Taschentuch in ihrer Hand. »Nein, nein, da muss irgendwas anderes dahinterstecken.«
Dass er die Nase voll von dir hatte, zum Beispiel?, dachte Winnie, während sie wartete.
»Vielleicht …«
»Ja?«
»Ich weiß nicht, aber es wäre möglich, dass es … Es könnte vielleicht etwas mit diesem Umschlag zu tun haben.«
»Was für ein Umschlag?«, fragte Winnie alarmiert.
»Er hat mir versprochen, dass wir ein wunderschönes Leben haben werden«, schluchzte Miriam Bandow. »›Dafür sorge ich‹, hat er gesagt. Es muss nur erst alles in trockenen Tüchern sein.«
»Was?«
»Bitte?«
Herrgott, konnte man tatsächlich so schwer von Begriff sein?! »Was genau musste erst in trockenen Tüchern sein?«
Miriam Bandows Gesicht begann zu zittern. »Achim war furchtbar abergläubisch, wissen Sie. Deshalb hat er mir nie was Konkretes gesagt. Nur einmal, da sollte ich etwas für ihn erledigen.« Ihr Blick schweifte ab, als könne sie in die Vergangenheit blicken. »Ich hatte ihn besucht. So wie jeden Monat. Und da sagte er plötzlich, es gebe da diesen Umschlag, der sehr wichtig sei. Den sollte ich holen und in Sicherheit bringen.«
Winnie starrte sie an. »Wo holen?«
»In der Marktkirche.« Miriam Bandow vergrub die Stirn in den Händen. »Achim hat dort früher im Chor gesungen, wissen Sie.«
Klar!
Der sanfte Sänger …
»Dort gibt es eine kleine Nische, oben, bei der Orgel. Ich habe ziemlich lange gebraucht, um sie zu finden, obwohl Achim mir ganz genau
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