Schneewittchen muss sterben
jetzt tat sie dasselbe wie so viele Male zuvor: Sie hatte eine Entscheidung getroffen, die er zu akzeptieren hatte. Sie war diejenige, die die Richtung bestimmte. Sie hatte das Geld, mit dem sie das Grundstück in Kelkheim gekauft und das Haus gebaut hatten. Er hätte sich das alles nie und nimmer leisten können. Es tat weh, aber zum ersten Mal sah er in Cosima an diesem düsteren Novembermorgen nicht mehr die schöne, selbstbewusste, aufregende Gefährtin an seiner Seite, sondern nur noch die Frau, die rücksichtslos ihren Willen und ihre Pläne durchsetzte. Wie dumm und wie blind er die ganze Zeit gewesen war!
Das Blut rauschte in seinen Ohren. Sie hatte aufgehört zu reden und blickte ihn ungerührt an, als warte sie auf seine Antwort. Er blinzelte. Ihr Gesicht, das Auto, der Parkplatz – alles verschwamm vor seinen Augen. Sie würde weggehen, mit einem anderen Mann. Sie würde ihr Leben leben, in dem für ihn kein Platz mehr war. Plötzlich überwältigten ihn Eifersucht und Hass. Er machte einen Schritt auf Cosima zu, packte ihr Handgelenk. Erschrocken wollte sie vor ihm zurückweichen, aber er hielt ihre Hand umklammert wie ein Schraubstock. Ihre kühle Überlegenheit war schlagartig verschwunden, sie riss angsterfüllt die Augen auf und öffnete den Mund, um zu schreien.
Um halb sieben entschied Pia, alleine die Wohnung von Nadja von Bredow aufzusuchen. Bodenstein ging nicht an sein Handy und hatte auch auf keine SMS reagiert. Gerade als sie auf die Klingel drücken wollte, öffnete sich die Haustür, ein Mann kam heraus. Pia und die beiden Kollegen in Zivil, die die Wohnung überwacht hatten, gingen an ihm vorbei.
»Stopp!« Der Mann, ein leicht ergrauter Mittfünfziger mit runder Hornbrille, trat ihnen in den Weg. »So geht das hier nicht! Zu wem wollen Sie?«
»Das geht Sie nichts an«, entgegnete Pia schroff.
»Das tut es sehr wohl.« Der Mann baute sich vor dem Aufzug auf, verschränkte die Arme und musterte sie überheblich. »Ich bin der Vorsitzende der Eigentümergemeinschaft dieser Wohnanlage. Hier kann nicht jedermann einfach hereinspazieren.«
»Wir sind von der Kripo.«
»Ach ja? Haben Sie einen Ausweis?«
Pia begann vor Zorn zu kochen. Sie zückte ihre Marke und hielt sie dem Mann vor die Nase. Ohne ein weiteres Wort ging sie in Richtung Treppe.
»Du wartest hier unten«, wies sie einen der Kollegen an. »Wir beide gehen hoch.«
Kaum waren sie vor die Tür des Penthouseappartements getreten, ging diese auf. Ein kurzer Ausdruck des Erschreckens flog über das Gesicht von Nadja von Bredow.
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie unten warten sollen«, sagte sie wenig freundlich. »Aber wenn Sie schon mal da sind, können Sie die Koffer gleich mitnehmen.«
»Sie verreisen?« Pia begriff, dass Nadja von Bredow sie nicht erkannte und wohl für die Taxifahrerin hielt. »Sie sind doch gerade erst nach Hause gekommen.«
»Was geht Sie das wohl an?«, entgegnete diese gereizt.
»Ich schätze, eine Menge.« Pia hielt ihr die Marke hin. »Pia Kirchhoff, Kripo Hofheim.«
Nadja von Bredow musterte sie und schob die Unterlippe vor. Sie trug eine dunkelbraune Wellensteyn-Jacke mit Pelzkragen, Jeans und Stiefel. Das blonde Haar hatte sie zu einem strengen Knoten frisiert, aber selbst das reichlich aufgetragene Make-up konnte nicht die Schatten unter ihren geröteten Augen verdecken.
»Sie kommen ungünstig. Ich muss dringend zum Flughafen.«
»Dann müssen Sie Ihren Flug verschieben«, entgegnete Pia. »Ich habe ein paar Fragen an Sie.«
»Ich habe jetzt keine Zeit für so was.« Sie drückte auf den Knopf des Aufzugs.
»Wo sind Sie gewesen?«, fragte Pia.
»Verreist.«
»Aha. Und wo ist Tobias Sartorius?« Nadja von Bredow blickte Pia aus ihren grasgrünen Augen erstaunt an.
»Woher soll ich das denn wissen?« Ihre Überraschung wirkte echt, aber sie war nicht umsonst eine der bestbezahlten Schauspielerinnen Deutschlands.
»Weil Sie mit ihm nach der Beerdigung von Laura Wagner weggefahren sind, anstatt ihn bei uns zur Vernehmung abzuliefern.«
»Wer behauptet das denn?«
»Tobias' Vater. Also?«
Der Aufzug kam, die Tür glitt zur Seite. Nadja von Bredow wandte sich Pia zu und lächelte spöttisch.
»Ich hoffe, Sie glauben nicht alles, was der so erzählt.« Sie blickte Pias Kollegen an. »Die Polizei, dein Freund und Helfer. Würden Sie mir helfen, mein Gepäck in den Aufzug zu tragen?«
Als dieser tatsächlich Anstalten machte, die Koffer zu ergreifen, platzte Pia der Kragen.
»Wo
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