Schneewittchen-Party
ihrem Stuhl hochzog – sie hatte Arthritis und hatte manchmal Schmerzen bei jeder Bewegung – und zum Regal ging, und sie zog ein Buch raus und tat das Stück Papier, das sie gerade unterschrieben hatte – es war in einem Umschlag –, in das Buch. Es war ein dickes, großes Buch aus dem untersten Fach. Und dann schob sie es wieder zurück ins Regal. Na ja, ich hab dann gar nicht mehr dran gedacht, kann man wohl sagen. Nein, wirklich nicht. Aber als dann das Theater losging, da dachte ich natürlich – das heißt – « Sie brach ab.
Mrs Oliver hatte eine ihrer nutzbringendem Intuitionen. »Aber Sie haben doch ganz gewiss nicht so lange gewartet«, sagte sie.
»Na ja, ich will ehrlich sein. Ich gab zu, ich war neugierig. Schließlich – wenn man etwas unterschrieben hat, will man ja wissen, was man unterschrieben hat, finden Sie nicht? Ich meine, das ist doch nur menschlich.«
»Ja«, sagte Mrs Oliver, »das ist nur menschlich.«
Die Neugier, dachte sie, schien unter Mrs Leamans menschlichen Zügen an erster Stelle zu stehen.
»Ich muss also zugeben, dass ich am nächsten Tag, als Mrs Levin-Smith nach Medchester gefahren war und ich ihr Zimmer sauber machte wie immer – sie hatte ein Wohnschlafzimmer, weil sie so viel ruhen musste. Also da denke ich: ›Wenn man was unterschrieben hat, dann muss man wirklich wissen, was das war.‹ Ich meine, es heißt doch immer bei diesen Ratenkäufen und so, dass man das Kleingedruckte lesen soll.«
»Oder in diesem Fall das Handgeschriebene«, meinte Mrs Oliver.
»Und da hab ich gedacht, es schadet doch niemand – es ist ja nicht, als wenn ich was wegnehme. Und so hab ich ein bisschen in den Regalen gesucht. Sie mussten sowieso abgestaubt werden. Und dann hab ich das Buch gefunden. Es war im untersten Fach. Es war ein altes Buch, und darin war der Umschlag, und es hieß Schlag nach. Als wenn es so gemeint war, finden Sie nicht?«
»Ja«, sagte Mrs Oliver, »es war offensichtlich so gemeint. Und dann haben Sie das Papier aus dem Umschlag genommen und es sich angesehen.«
»Ja, Madam. Und ob das falsch war oder nicht, das weiß ich nicht. Jedenfalls hab ich’s gelesen. Und es war wirklich ein juristisches Dokument. Auf der letzten Seite war das, was sie am Tag vorher geschrieben hatte. Ganz frisch mit einer kratzigen neuen Feder geschrieben. Man konnte es sehr gut lesen, obgleich sie eine ziemlich spillerige Schrift hatte.«
»Und was stand drin?«, fragte Mrs Oliver, die inzwischen Mrs Leaman an Neugier nicht mehr nachstand.
»Tja, was über – soweit ich mich erinnere – die genauen Worte weiß ich nicht mehr – also was über ein Kodi – na, Sie wissen schon – und dass sie außer den Sachen, die sie in ihrem Testament genannt hat, ihr gesamtes Vermögen Olga – ich weiß ihren Zunamen nicht mehr genau, er fing mit einem S an, Seminoff oder so ähnlich – vermacht als Anerkennung für ihre treuen Dienste während ihrer Krankheit. Das stand da, und sie hatte es unterschrieben, und ich hatte es unterschrieben, und Jim hatte es unterschrieben. Dann hab ich es wieder zurückgetan, weil Mrs Levin-Smith nicht wissen sollte, dass ich in ihren Sachen rumgewühlt hatte.
Aber na, sagte ich mir, na, das ist ja eine Überraschung. Und ich dachte, man stelle sich vor, diese Ausländerin bekommt das ganze Geld, denn wir wussten alle, dass Mrs Levin-Smith sehr reich war. Ihr Mann war Schiffsbaumeister und hatte ihr ein Vermögen hinterlassen, und ich dachte, na, manche Leute haben aber auch ein Glück. Und dann dachte ich, und ihre Familie lässt sie leer ausgehen. Aber vielleicht hatte sie sich mit ihnen verkracht und wird sich höchstwahrscheinlich auch wieder mit ihnen vertragen, und dann zerreißt sie das hier vielleicht und macht ein neues Kodiding oder ein neues Testament. Aber auf jeden Fall tat ich das Papier wieder zurück und vergaß es.
Aber als dann das Theater mit dem Testament losging und alle sagten, es ist gefälscht und Mrs Levin-Smith kann das nicht selbst geschrieben haben – das haben sie nämlich gesagt, müssen Sie wissen, dass die alte Dame das gar nicht geschrieben hat, sondern jemand anders – «
»Ah so«, sagte Mrs Oliver. »Und – was haben Sie gemacht?«
»Nichts hab ich gemacht. Und deshalb mach ich mir jetzt Gedanken… Ich hab das alles nicht gleich begriffen. Und als ich ein bisschen überlegt hatte, da wusste ich gar nicht, was ich eigentlich tun sollte, und ich dachte auch, ach, das ist alles Gerede, weil die Rechtsanwälte
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