Schneewittchen-Party
dabei, in den nächsten Bestseller von Ariadne Oliver aufgenommen zu werden.«
»Manchmal sind Sie wirklich schrecklich«, sagte Mrs Oliver. »Aus Ihrem Mund klingt das alles so – niedrig.« Sie schwieg nachdenklich. »Vielleicht ist es das ja auch.«
»Nein, nein, nicht niedrig. Nur menschlich.«
»Und Sie wollen, dass ich Judith und Miranda bei mir in London aufnehme?«
»Noch nicht«, sagte Hercule Poirot. »Erst wenn ich sicher bin, dass einer von meinen kleinen Gedanken stimmt.«
»Sie und Ihre kleinen Gedanken! Jetzt habe ich aber eine Neuigkeit für Sie.«
»Madame, das entzückt mich.«
»Seien Sie nicht zu sicher. Es wird wahrscheinlich Ihre kleinen Gedanken aus der Reihe bringen. Wenn ich Ihnen nun sagte, dass diese Fälschung, von der Sie so eifrig erzählt haben, überhaupt keine Fälschung war?«
»Was sagen Sie da?«
»Mrs Levin-Smith hat wirklich ein Kodizill zu ihrem Testament gemacht, in dem sie all ihr Geld dem Au-pair-Mädchen vererbt hat, und zwei Zeugen haben gesehen, wie sie es unterschrieben hat, und haben ihrerseits in Gegenwart des andern auch unterschrieben. So, jetzt haben Sie was, worüber Sie nachdenken können!«
19
» M rs – Leaman – «, sagte Poirot, während er den Namen schrieb.
»Ja, Harriet Leaman. Und der andere Zeuge scheint ein James Jenkins gewesen zu sein. Als Letztes hat man von ihm gehört, dass er nach Australien gegangen ist. Und von Miss Seminoff scheint man als Letztes gehört zu haben, dass sie in die Tschechoslowakei zurückgekehrt ist – oder von wo sie sonst gekommen ist. Alle scheinen irgendwo anders hingegangen zu sein.«
»Wie zuverlässig ist Ihrer Meinung nach diese Mrs Leaman?«
»Ich glaube nicht, dass sie sich das alles ausgedacht hat, falls Sie das meinen. Ich glaube schon, dass sie etwas unterschrieben hat, dass sie dann neugierig war und bei erster Gelegenheit versucht hat, herauszukriegen, was sie unterschrieben hatte.«
»Sie kann lesen und schreiben?«
»Das nehme ich doch an. Aber stimmt, manchmal können die Leute die Schrift von alten Damen nicht sehr gut lesen, weil die meist so kritzelig und undeutlich schreiben. Als dann später Gerüchte kursierten über dieses Testament oder Kodizill, kann sie natürlich gedacht haben, genau das habe sie in dieser unleserlichen Schrift gelesen.«
»Ein echtes Dokument«, sagte Poirot. »Aber ein gefälschtes Kodizill hat es auch gegeben.«
»Wer sagt das?«
»Die Anwälte.«
»Vielleicht war es gar nicht gefälscht.«
»Anwälte sind in solchen Sachen sehr penibel. Sie waren bereit, mit Sachverständigen als Zeugen vor Gericht zu gehen.«
»Na schön«, sagte Mrs Oliver. »Dann ist ja ganz klar, was passiert ist.«
»Was ist klar? Was ist passiert?«
»Na, am nächsten Tag oder ein paar Tage später oder vielleicht sogar eine Woche später hat sich Mrs Levin-Smith natürlich mit ihrer Perle von Mädchen verkracht, oder aber es hat eine zu Herzen gehende Aussöhnung mit ihrem Neffen Hugo oder ihrer Nichte Rowena stattgefunden, und sie hat das Testament zerrissen oder das Kodizill gestrichen oder alles verbrannt oder was weiß ich.«
»Und dann?«
»Na, dann ist Mrs Levin-Smith wahrscheinlich gestorben, und das Mädchen nimmt sofort die Gelegenheit wahr und schreibt ein neues Kodizill mit etwa denselben Anweisungen und in Mrs Levin-Smith’ Handschrift, so gut sie’s eben kann, und die beiden Zeugenunterschriften ahmt sie auch nach. Wahrscheinlich kennt sie Mrs Leamans Schrift sehr gut, von Versicherungskarten oder so, und sie kopiert sie und denkt sich, Mrs Leaman wird schon zugeben, dass sie das Testament gegengezeichnet hat, und dann ist alles gut. Aber ihre Fälschung ist nicht gut genug, und so fängt der Ärger an.«
»Erlauben Sie mir, chère Madame, Ihr Telefon zu benutzen?«
»Ich erlaube Ihnen, Judith Butlers Telefon zu benutzen, ja.«
»Wo ist Ihre Freundin?«
»Oh, sie ist beim Friseur, und Miranda ist spazieren. Gehen Sie nur, es steht gleich hier im Zimmer.«
Poirot ging ins Haus und kam nach etwa zehn Minuten zurück.
»Na? Was haben Sie gemacht?«
»Ich habe Mr Fullerton angerufen, den Anwalt. Ich werde Ihnen jetzt etwas sagen. Das Kodizill, das gefälschte Kodizill, das für die Testamentseröffnung vorgelegt wurde, ist gar nicht von Harriet Leaman gegengezeichnet worden, sondern von einer Mary Doherty, inzwischen verstorben, die Hausangestellte von Mrs Levin-Smith gewesen ist. Der zweite Zeuge war der James Jenkins, der, wie Ihnen Ihre Freundin Mrs
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