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Schneewittchens Tod

Schneewittchens Tod

Titel: Schneewittchens Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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er.
    »Ich hingegen nehme die Einladung gerne an«, sagte Gaelle und warf Chib einen fragenden Seitenblick zu, doch der tat so, als würde er nichts bemerken und verabschiedete sich.
    »Ich hole dich gegen zwei Uhr ab«, sagte er.
    Blanche unterhielt sich nicht mehr mit Costa. Sie lehnte mit verschränkten Armen an einer Wand in der Halle.
    »Sie bleiben nicht bei uns, Monsieur Moreno?«
    »Nein, ich kann nicht.«
    »Wie feige Sie doch sind«, flüsterte sie. dann mit lauter Stimme: »Werden Sie uns wenigstens die Freude machen, zum Kaffee zu kommen?«
    »Ich werde es versuchen«, antwortete er steif.
    Colette kam mit einer Platte voll gefülltem Gemüse aus der Küche. Blanche löste sich von der Wand, und Chib schüttelte ihr steif die Hand, die trocken und weich war. Er ging hinaus, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Charles kam ihm auf dem Hof entgegen und warf seinen mit Büchern voll gestopften Rucksack in die Luft.
    »Ich hoffe, das Mittagessen ist fertig. Ich sterbe vor Hunger!«
    »Esst ihr nicht in der Schulkantine, dein Bruder und du?«
    »Mein Bruder vielleicht, aber mir reicht's für heute. Ich habe erst um drei Uhr wieder Unterricht«, erklärte er lässig und verschwand im Haus.
    Chib verließ das Anwesen verwirrter denn je. Charles konnte durchaus schon vor einer Weile heimlich zurückgekommen sein. Charles, der schwule Heranwachsende, der seine Schwester missbraucht und tötet? Das war völlig abwegig . Alles war von Anfang an abwegig. So, als würden sich zwei verschiedene Spuren übereinander legen, sich miteinander verweben, um die Sicht zu trüben. Er versuchte, die Fakten zu rekapitulieren.
    Hauptlinie: Ein Mädchen stirbt. Es wurde vielleicht ermordet. Es ist entjungfert. Man stiehlt die Leiche. Dann bringt man sie zurück, aber ans Kreuz geschlagen. Eine Christusstatue wird geschändet. Einem Welpen wird der Bauch aufgeschlitzt. Man ejakuliert auf ein Familienfoto.
    Nebenlinien: Der älteste Sohn hat ein Verhältnis mit dem Gärtner. Die Mutter hat ein Verhältnis mit dem Präparator ihrer Tochter. Der englische Nachbar ist in die Mutter verliebt. Die Schwiegermutter verachtet ihre Schwiegertochter. Ein Freund der Familie hat wahrscheinlich ein Verhältnis mit der Verlobten des Kompagnons des Vaters. Der Vater scheint untadelig.
    Bilanz: Jedes der heterosexuellen männlichen Mitglieder der Familie und ihres Umfeldes kann der Schuldige sein. Also Charles und Costa ausschließen? Aber wenn Louis-Marie gelogen hatte? Und warum hatte Charles gegenüber Noemie Labarriere behauptet, Chib sei homosexuell?
    Würde Gaelle darauf kommen, was sich zwischen Blanche und ihm im Laufe dieser langen schlaflosen Nacht abgespielt hatte? Les Nuits Blanches, Weiße Nächte, ein Film von Visconti, 1957.
    Ihm wurde bewusst, dass er Hunger hatte, also hielt er vor einem McDonalds an und stellte sich eine Viertelstunde in einer Schlange an, ehe er bei einer schwedischen Studentin zwei Big Mac bestellen konnte. Sie schien überlastet und ihr erstarrtes Lächeln von einem Karikaturisten gezeichnet. Er zog sich in die ruhigste Ecke zurück - Stehtisch in der Nähe der Toiletten -, und während er seine Sandwiches aß, spulte er den Film der Ereignisse noch einmal vor seinem geistigen Auge ab.
    Dann ging er zu seinem Wagen zurück, versuchte, in einem holländischen Sprachführer zu lesen, den er während einer Reise nach Amsterdam gekauft hatte, wiederholte wie ein Papagei jeden Satz, warf den Führer auf den Rücksitz, verschränkte die Arme im Nacken, machte die Augen zu und sagte sich: Ich werde ein wenig schlafen, öffnete sie nach fünf Minuten, erschöpft von der Anstrengung, die Lider geschlossen zu halten, massierte seine Schläfen mit dem Zeigefinger, bis er fast blaue Flecken hatte, beschloss, Ordnung im Handschuhfach zu machen, gab auf, nachdem er das vierzehnte Autobahn-Ticket gefunden hatte, nahm sich vor, den Wagen am selben Abend zu waschen und den Sand von den Fußmatten zu saugen, stieg aus, um sich die Beine zu vertreten, stieg aber gleich wieder ein, da er feststellte, dass es endlich zwei Uhr war, und fuhr mit quietschenden Reifen los.
    Kurz bevor er das Landhaus erreichte, sah er einen kleinen silbergrauen Toyota Yaris in den geteerten Weg einbiegen, der zu den Labarrieres führte. Am Steuer saß eine Frau, eine Frau mit platinblondem Haar. Winnie, die ihre lieben Freunde besuchte. Er bremste und zog sein Handy aus der Tasche. Er wählte die Nummer der Labarrieres und geriet an den

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