Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
einem Verlust abschließen wollen. Das ist der Dispositionseffekt.«
»Wir haben ein hervorragendes Gericht in einem Restaurant entdeckt, und wir probieren keine andere Speise, um uns das Gefühl der Reue zu ersparen.«
»Der Verkäufer zeigte mir den teuersten Kindersitz und sagte, es sei der sicherste, und ich konnte mich nicht dazu durchringen, das billigere Modell zu kaufen. Es fühlte sich an wie ein taboo trade-off .«
33. Umkehrungen
Sie sollen die Höhe des Schadensersatzes für die Opfer von Gewaltverbrechen festsetzen. Sie prüfen den Fall eines Mannes, der aufgrund seiner Schusswunde seinen rechten Arm nicht mehr gebrauchen kann. Er wurde angeschossen, als er in einen Raubüberfall geriet, der sich in einem Nachbarschaftsladen in der Nähe ereignete.
Zwei Läden befanden sich in der Nähe der Wohnung des Opfers, wobei der Mann einen davon regelmäßiger aufsuchte als den anderen. Betrachten wir zwei Szenarien:
Der Raubüberfall ereignete sich in dem Geschäft, das der Mann regelmäßig aufsuchte.
Das Stammgeschäft des Mannes war wegen einer Beisetzung geschlossen, sodass er in dem anderen Laden einkaufte, wo er angeschossen wurde.
Sollte es sich auf die Höhe des Schadensersatzes auswirken, in welchem Geschäft der Mann angeschossen wurde? 1
Sie treffen Ihr Urteil in einer gemeinsamen Bewertung, bei der Sie beide Szenarien gleichzeitig betrachten und einen Vergleich anstellen. Sie können eine Regel anwenden. Wenn Sie der Ansicht sind, dass das zweite Szenario einen höheren Schadensersatz verdient, sollten Sie ihm einen höheren Dollarwert zuschreiben.
Nach praktisch einhelliger Auffassung sollte der Schadensersatz in beiden Situationen gleich hoch sein: Er wird für die bleibende Invalidität geleistet – wieso sollte dann der Ort, an dem die Verletzung geschah, einen Unterschied machen? Die gemeinsame Beurteilung der beiden Szenarien gab Ihnen Gelegenheit, die moralischen Prinzipien zu prüfen, nach denen Sie die für die Opferentschädigung relevanten Faktoren bewerten. Für die meisten Menschen ist der Ort, an dem eine Körperverletzung stattfand, keiner dieser Faktoren. Wie
in anderen Situationen, die einen expliziten Vergleich verlangen, war dies ein langsamer Denkprozess unter Beteiligung von System 2.
Die Psychologen Dale Miller und Cathy McFarland, die die beiden Szenarien ursprünglich entwickelten, legten sie verschiedenen Probanden zur getrennten Beurteilung vor. In ihrem Experiment (mit Between-Subjects-Design, also zwei Probandengruppen mit jeweils eigener experimenteller Bedingung) wurde jedem Teilnehmer nur ein Szenario dargeboten, und er wurde aufgefordert, diesem einen Dollarwert zuzuschreiben. Wie Sie bestimmt schon ahnen, fanden sie heraus, dass dem Opfer eine viel höhere Schadensersatzsumme zugesprochen wurde, wenn es in einem Laden angeschossen wurde, den es nur selten aufsuchte, nicht in seinem Stammgeschäft. Betroffenheit (ein Gefühl, das eng mit Reue verwandt ist) ist ein kontrafaktisches Gefühl, das hervorgerufen wird, weil einem der Gedanke »wenn er doch nur in seinem Stammgeschäft eingekauft hätte …« spontan einfällt. Die uns vertrauten System-1-Mechanismen der Ersetzung und der Intensitätsabstimmung übersetzen die Stärke der emotionalen Reaktion auf die Fallgeschichte in eine monetäre Skala, was dazu führt, dass sich die zuerkannten Schadensersatzsummen stark voneinander unterscheiden.
Der Vergleich der beiden Experimente enthüllt einen scharfen Gegensatz. Praktisch jeder, dem beide Szenarien zusammen dargeboten wurden (in einem Within-Subject-Design, bei dem sämtliche experimentelle Bedingungen mit einer Probandengruppe durchgespielt werden), pflichtet dem Grundsatz bei, dass Betroffenheit kein legitimes Kriterium der Beurteilung sei. Leider kommt dieser Grundsatz nur dann zum Tragen, wenn die beiden Szenarien zusammen präsentiert werden, aber so verhält es sich im Leben für gewöhnlich nicht. Der Normalfall ist hier vielmehr der Between-Subjects-Modus, bei dem gegensätzliche Alternativen, die einen zum Umdenken veranlassen könnten, nicht vorhanden sind und bei dem außerdem gemäß der WYSIATI-Regel nur die aktuell verfügbaren Informationen berücksichtigt werden. Infolgedessen bestimmen die Überzeugungen, die man bei der moralischen Beurteilung eines Sachverhalts unterstützt, nicht unbedingt die emotionalen Reaktionen. Und die moralischen Intuitionen, die einem in verschiedenen Situationen einfallen, sind nicht in sich
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