Schnupperküsse: Roman (German Edition)
alles in Ordnung?«
»Ja«, antwortet er stirnrunzelnd.
»Nein, ist es nicht«, beharre ich. »Was ist los? Ich spüre, dass irgendetwas nicht stimmt. Hat es mit der Schule zu tun?«
Er antwortet nicht.
»Ich verstehe, dass du dich ein bisschen hin und her gerissen fühlst, jetzt nachdem Josh nach Hause gefahren ist, aber das geht wieder vorbei.« Ich hasse es, das zuzugeben, aber auch ich vermisse meine Freunde. »Du hast Glück – du hast eine gute Arbeit bei Guy gefunden.«
»Ich mag die Kühe«, sagt er, und für einen kurzen Augenblick hellt sich seine Miene auf.
»Und gutes Geld verdienst du auch.«
»Mum, hör bitte auf! Ich weiß, was deine Worte bezwecken sollen. Du willst aus mir den Satz herauszulocken, wie toll ich es hier doch finde, damit du dich nicht mehr schuldig fühlen musst. Lass das! Es nutzt nichts. Ich hasse es hier. Ich spare das ganze Geld vom Melken, um von hier wegzugehen, sobald ich sechzehn bin.«
»Adam, das ist …« Das ist ein Schock. »Sag das bitte noch einmal!«
»Ich werde von hier weggehen.«
»Und was ist mit deinen Schwestern und Lucky?«
»Lucky werde ich mitnehmen.« Der Hauch eines Lächelns zieht über seine Lippen. »Du kannst dich dann an meinen Schwestern festklammern.«
»Von was willst du leben? Wo willst du leben?«
»Ich werde mir eine Wohnung und einen Job suchen …« Er starrt mich zornig an, als ich meinen Mund öffne, um die offensichtlichen Schwachstellen seines Vorhabens darzulegen. »Abgesehen davon kann ich jederzeit von der Sozialhilfe leben«, fügt er hinzu. »Macht ja jeder so.«
»Mit der wirst du dir aber keine neuen iPods, Computer und Kleider leisten können.« Bei der Vorstellung, dass Adam allein in einem möblierten Zimmer lebt und sich von Cornflakes und Tütennudeln ernährt, verschlägt es mir die Sprache. Und was die Mädchen und mich betrifft … versuche ich mir ein Leben ohne Adam auszumalen. Dass er eines Tages von zu Hause weggehen würde, war klar, aber doch nicht so bald.
»Ich werde es schon schaffen«, sagt er. »Ich bin ja nicht dumm.«
»Das habe ich nie behauptet – ich glaube ganz und gar nicht, dass du dumm bist. Ich wünschte mir einfach nur, du wärst mit einer positiveren Einstellung hierhergekommen«, sage ich, traurig über den Gedanken, dass mein Sohn nicht mehr Zeit als nötig mit mir verbringen möchte. Ich würde zu gerne glauben, dass es sich nur um eine vorübergehende Laune handelt, aber er scheint es todernst zu meinen. »Ich finde, du solltest diese langfristigen Pläne gedanklich erst mal zurückstellen und das Wochenende mit deinem Dad genießen.«
»Sag mir nicht, was ich denken soll! Das kann ich schon allein«, erwidert er wütend. Er greift nach seinem Laptop, der auf dem Boden liegt, und geht hinüber zum Bett, das Ladegerät zieht er dabei hinter sich her. Ich hebe es vom Boden auf und gebe es ihm, doch ein Dankeschön kommt ihm nicht über die Lippen.
»Ich kann dir helfen, wenn du möchtest …«
Adam dreht sich weg, und ein kalter Schauer erfasst meine Fesseln. Ich zittere, doch daran ist nicht die Kälte schuld, sondern seine Ablehnung.
Als ich David später an diesem Abend kurz sehe, spreche ich das Thema leise bei ihm an, während die Kinder ihr Gepäck von meinem Auto in seins umladen. Lucky habe ich dieses Mal zu Hause gelassen.
»Na, Jennie, ist das Leben auf dem Land immer noch so rosig oder legst du nur eine tapfere Miene auf?«, fragt mich David mit einem ironischen Lächeln. Er sieht erschöpft aus und hat dunkle Ringe unter den Augen. Sein Gesicht ist blass, so wie ein Teig, der noch nicht durchgebacken ist. Er trägt einen Anzug, aber keine Krawatte, und riecht nach dem mir inzwischen fremd gewordenen Geruch der Stadt – eine schwache Mischung aus kalten Pommes frites und Zigarettenrauch.
»Es gibt keinen Grund zur Klage.«
»Na, mir gegenüber würdest du es wohl auch nicht zugeben, oder?«
»Denk, was immer du willst«, sage ich mit einem Achselzucken. »Ich mache mir Sorgen … um Adam. Er hat sich diese aberwitzige Idee in den Kopf gesetzt, mit sechzehn auszuziehen. Vielleicht kannst du ja mal mit ihm reden, so von Mann zu Mann. Auf mich will er nicht hören.«
»Wann hast du ihm denn je zugehört?«
»Hör auf damit!«, sage ich und werfe ihm einen warnenden Blick zu. »Was passiert ist, ist passiert, daran kann ich nichts mehr ändern. Ich dachte mir nur, vielleicht könntest du ihn noch etwas mehr unterstützen. Ich glaube, das braucht er jetzt.«
»Ich
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