Schockstarre

Richtung. Der Nebel ist ein Clown, dachte Katinka. Ein weißer, verlebter Clown.
    »Und Sie wollen ihn nicht, oder?«, rief sie Thurid zu. »Sie wollen diesen Job nicht.«
    Ich will meinen auch nicht mehr.
    »Nein.«
    »Aber Mendel hat Sie gedrängt. Er zwang Sie in die Knie. Sie durften ihn nicht enttäuschen. Bei allem, was er für Sie getan hat, ist das richtig?«
    »Er drohte mir damit, es Fenering zu erzählen. Er sagte, mir sei nicht zu helfen, wenn ich diesen Job nicht nehme. So einen würde ich nie wieder kriegen. Das war das, was er gesagt hatte.«
    »Diese Stelle in Hamburg, warum wollen Sie die nicht?«
    Es kam keine Antwort. Katinka dachte an Hardo dort draußen im Nebel. Sie hoffte nur, dass er eine brauchbare Deckung gefunden hatte. Himmel, Schilling, beeil dich, murmelte sie und rief: »Thurid, das war doch nicht alles, oder? Es ging nicht nur um diesen Job.«
    »Er hat mir immer wieder gesagt: Ich bin nur, was ich bin, weil ich ihn habe.« Sie brach für einen Augenblick ab. »Er hat es einfach nicht mehr geschafft, von Fenering wegzukommen. Er hat sich bei Hunderten von Werbeagenturen beworben, aber er ist nie genommen worden.«
    »Dann hat er keine Chance auf einen Wechsel gehabt? Und Frau und Kinder hat er nur vorgeschoben?«
    »Genau.«
    Lange Stille.
    »Er wollte, dass Sie zu Ende bringen, was er für sich gewünscht hatte«, rief Katinka schließlich.
    Gottes Gedanken, dachte sie. Der Rest besteht aus Details. Alles dreht sich um Thurids Abhängigkeit von Mendel. Aus der sie verzweifelt rauswill, ohne sich auch nur um einen Millimeter zu befreien.
    Katinka hatte den Eindruck, Thurid sei nun ganz nah. Sie rückte zur Plattform hinüber. Sobald Thurid mit der Pistole in der Faust auftauchen würde, würde sie … würde sie schießen. Auf die Beine, egal. Kälte und Entsetzen schüttelten ihren Körper, aber sie bemerkte es nicht, nahm nicht einmal mehr die Nässe wahr, die ihre Kleider durchfeuchtete und ihr eine Gänsehaut machte.
    »Haben Sie ihm das vorgehalten? Haben Sie das, Thurid?«
    »Mendel hat immer durchgesetzt, was er wollte. Klappte das eine nicht, paukte er das andere umso radikaler durch. Niemand hatte neben ihm eine Chance. Nur ein Kotzbrocken wie Hartmann, der sich um nichts schert.«
    »Wussten Sie, dass Hartmann auf Anraten Mendels in Fonds investiert hat? Dass diese Anlagen geplatzt sind?«
    Katinka lauschte, meinte, etwas gehört zu haben. Etwas, das nicht in diesen Hof gehörte. Schilling konnte gekommen sein. Sie ging in die Hocke, vor Erschöpfung, und stützte den Arm, der die Waffe hielt, auf ihr Knie.
    »Hartmann ist ein Nilpferd minus Intelligenz. Er hat doch zusammen mit Mendel den Gruschka aus der Agentur gemobbt. Mendel brauchte Hartmann dazu, aber dann wollte Hartmann von Mendel eine Gegenleistung. Da hat Mendel ihm die Fonds vorgeschlagen und sich hintenrum ins Fäustchen gelacht«, hallte es über den Hof.
    Die Nebelschwaden wurden dünner, transparenter. Katinka stand auf. Für einen kurzen Moment sah sie Sternchen vor ihren Augen. Sie wagte sich bis zum Durchgang zum Burghof vor, es waren nur zwei große Schritte. Der Hof lag verwaist. Zu ihrer Linken sah sie in einigem Abstand die Kanonen stehen, schwarze, bedrohliche Schatten an der Burgmauer.
    »Und Hartmann?«, rief sie in den Burghof hinaus. »Wollte der sich nicht rächen?«
    »Hartmann ist ein Idiot!«, kam es von Thurid. »Der kennt sich nur mit seinem Job aus, alles andere ist eine Nummer zu hoch für ihn.«
    Der Nebel wurde dicker und hüllte Katinka in ihrem Wachtürmchen ein. Dankbar fast antwortete sie:
    »Mendel hatte meine Pistole. Oder? Mendel hatte sie.«
    »Er hat sie mit ins Büro gebracht. Er hatte Angst vor Hartmann, der war so sauer, weil ihm sein Geld durch den Ausguss geflutscht ist. Mendel hat wirklich geglaubt, Hartmann würde ihm den Hals umdrehen.« Sie lachte laut auf. »Hartmann droht doch nur und macht auf dicke Hose. Der tut keiner Fliege was.«
    Katinka fasste sich an den Kopf. So herum funktionierte die Geschichte, ganz unerwartet.
    »Wie haben Sie die Pistole an sich gebracht?«
    »Er hat über Sie gelästert«, redete Thurid an der Frage vorbei. »Er hat in der Zeitung von Ihnen gelesen. Er fand es lächerlich. Wie kann eine Frau Detektiv werden, hat er gesagt.«
    »Hatte er die Waffe in der Agentur bei sich?«
    »Er hat sie einfach in seine Schreibtischschublade gelegt. Er war sich so sicher. Hat nicht mal abgeschlossen.«
    Katinka sah sich um. Der Nebel lichtete sich