Schockwelle
den Kanal in die hohe Dünung steuerte, die die verlassenen Inseln im Norden und Süden umspülte. Kaum waren sie auf offener See, als auch schon die Haie auftauchten.
»Schau«, sagte Giordino, »unsere Freunde sind wieder da. Ich wette, die haben sich nach unserer Gesellschaft gesehnt.«
Maeve beugte sich über Bord und betrachtete die langen, grauen Leiber knapp unter dem Wasserspiegel. »Eine Schar neuer Anhänger«, sagte sie. »Das sind Makos.«
»Sind das die mit den schiefen, gezackten Zähnen, die allenfalls einen Kieferorthopäden begeistern?«
»Genau die.«
»Warum behelligen die ausgerechnet mich?« stöhnte Giordino. »Ich hab’ mir noch nie ein Haifischsteak bestellt.«
Eine halbe Stunde später gab Pitt den ersehnten Befehl.
»Okay, probieren wir die Segel aus. Mal sehen, was für ein Boot wir kreiert haben.«
Giordino breitete die Segel aus, die Maeve sorgfältig in schmalen Bahnen Zusammengefaltet hatte, und heißte das Groß, während Maeve den Besan setzte. Die Segel blähten sich auf, und Pitt ergriff mit leichter Hand die Pinne, ging mit dem Boot über Stag und brachte es auf Nordwestkurs, gegen den frischen Westwind.
Jeder Sportsegler hätte sich vermutlich vor Lachen an Deck gewälzt, wenn er
Marvelous Maeve
über die Wogen hätte schaukeln sehen. Ein Bootsbauer, der etwas von seinem Handwerk verstand, hätte wahrscheinlich fassungslos durch die Zähne gepfiffen. Doch das absonderlich aussehende Segelboot war alles andere als lächerlich. Die auf dem Wasser aufsitzenden Ausleger sorgten dafür, daß es stabil lag. Es reagierte erstaunlich gut auf das Ruder und blieb auf Kurs, ohne seitwärts abzudriften. Natürlich gab es einige Schwierigkeiten mit der Betakelung, die noch ausgebügelt werden mußten, ansonsten aber hielt es sich auch bei höherem Seegang bemerkenswert gut.
Pitt warf einen letzten Blick auf die Miseries. Dann schaute er zu dem in ein Stück Dacron-Segel gewickelten Päckchen, das Rodney Yorks Logbuch und seine Briefe enthielt. Wenn er die nächsten Tage überleben sollte, so gelobte er, würde er Yorks Hinterlassenschaft zu seinen noch lebenden Anverwandten bringen, damit die eine Expedition organisieren, seine sterblichen Überreste bergen und ihn an der Falmouth Bay in seinem geliebten Cornwall begraben konnten.
45
Im neunten Stock eines am Stadtrand von Paris gelegenen hypermodernen Hochhauses, das wie eine gläserne Pyramide aussah, saßen vierzehn tadellos gekleidete Männer mit ernsten Mienen um einen langen Konferenztisch aus Ebenholz. Als Direktoren des multilateralen Handelsrates, einer unter Insidern schlicht »die Stiftung« genannten Institution, die sich der Gründung einer globalen Wirtschaftsgemeinschaft verschrieben hatte, übten sie enorm viel Macht und Einfluß aus, und sie waren ungeheuer reich. Nachdem sie sich die Hände geschüttelt und ein paar Worte miteinander ge wechselt hatten, widmeten sie sich ihrem Thema. Normalerweise trafen sie sich dreimal pro Jahr, doch diesmal handelte es sich um eine außerordentliche Sitzung, um einen Notfall. Es galt, einer unerwarteten Gefahr zu begegnen, die ihren weitverzweigten Wirtschaftsunternehmen drohte.
Die Männer im Raum waren teils Angehörige internationaler Großkonzerne, teils hohe Regierungsbeamte. Nur einer, ein leitendes Mitglied des südafrikanischen Kartells, hatte ausschließlich mit dem Verkauf qualitativ hochwertiger Diamanten zu tun. Ein belgischer Industrieller aus Antwerpen und ein Baulöwe aus Neu-Delhi waren als Mittelsmänner der Stiftung dafür zuständig, daß gewaltige Mengen Industriediamanten illegal an den islamisch-fundamentalistischen Block flossen. Millionen dieser Steine wurden heimlich an die Blockstaaten verkauft, die um die Entwicklung eigener Kernwaffensysteme bemüht waren und sie dringend für die dafür erforderlichen Werkzeugmaschinen und Präzisionsgeräte brauchten. Die größeren, ausgefalleneren und qualitativ hochwertigeren Diamanten dienten dazu, politische Unruhen in der Türkei, in Westeuropa, Lateinamerika und in etlichen südostasiatischen Ländern zu finanzieren – überall dort, wo politische Subversion und Aufruhr den vielfältigen Interessen der Stiftung entgegenkamen. Und dazu zählte unter anderem auch der Waffenhandel.
All diese Männer waren durch die Medien bekannt, jeder war eine Kapazität auf seinem Gebiet, aber keinen brachte man mit der Stiftung in Verbindung. Um dieses Geheimnis wußten nur die Männer in diesem Raum und ihre engsten
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