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Schön scheußlich

Schön scheußlich

Titel: Schön scheußlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Angier
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Choreografie gehorcht. Nachdem die Wissenschaftler lange im Dunkeln getappt haben, wird nun langsam deutlich, welche Hormonsignale Männchen und Weibchen dazu bringen, sich kooperativ zusammenzutun und den Anforderungen, die Aufzucht und Schutz der Jungen an sie stellen, nachzukommen.
    Zum großen Teil stützen sich die Arbeiten auf Beobachtungen an Nagetieren. Sie legen ein relativ festes und vorhersagbares Repertoire von Verhaltensweisen an den Tag, die manipuliert und verstanden werden können. Untersuchungen an höheren Tieren wie unsereinem lassen jedoch darauf schließen, dass dieselben Hormone, die die Dynamik einer Nagerfamilie gestalten, auch menschliches Sozialverhalten beeinflussen, unter anderem die Bindung der Mutter an ihr Baby, die Zuneigung zwischen Mann und Frau und die Fähigkeiten des Kindes, Beziehungen zur Außenwelt zu knüpfen und Freundschaften zu schließen.
    Die beiden für die Ausbildung familiärer und anderer Sozialbeziehungen entscheidenden Hormone sind Oxytozin und Vasopressin, zwei kleine, strukturell recht ähnliche Peptide, die im Gehirn gebildet werden und ihren Einfluss mehr oder weniger - allerdings nicht exklusiv - geschlechts spezifisch ausüben. Oxytozin beeinflusst das weibliche Verhalten; Vasopressin stimuliert bei Männchen monogames, väterliches Verhalten.
    Die beiden Hormone sind bereits lange aus anderen Zusammenhängen bekannt. Oxytozin ist das Hormon, das Wehen, Milchproduktion und die zärtliche Hinwendung einer Mutter zu ihrem Kind beeinflusst. Vasopressin ist an der Stressreaktion des Körpers beteiligt und lässt unter anderem den Blutdruck steigen. Doch die Tragweite der beiden Hormone geht, wie man heute weiß, weit über die Physiologie hinaus. Die Natur ist letzten Endes ein knauseriger Ingenieur und verwendet nach Möglichkeit dieselben Materialien und Entwürfe, um viele Aufgaben gleichzeitig zu lösen. Und die effizienteste Möglichkeit, eine komplizierte Reihe von Aufgaben zu erledigen, ist die Einteilung in Kategorien. Wenn die Produktion von Milch und mütterliches Verhalten zur selben Zeit erwünscht sind und wenn die Verteidigung des eigenen Reviers und die väterliche Fürsorge für den Nachwuchs eng verknüpfte Aufgaben sind,' warum nicht in beiden Fällen das gesamte Spektrum an Aufgaben vom selben Hormon erledigen lassen?
    Ein beeindruckendes und dramatisches Beispiel für den Einfluss von Vasopressin ist nach Ansicht von Neurowissenschaftlern das Verhalten der männlichen Präriewühlmaus, einem kleinen, wolligen orangebraunen Nager aus dem mittleren Westen der Vereinigten Staaten. Präriewühlmäuse sind berühmt für ihr ungewöhnlich monogames Verhalten und ihre gleichberechtigte Lebensweise. Männchen und Weibchen gehen eine lebenslange Verbindung ein und teilen sich die Pflichten der  Jungenaufzucht. Vasopressin ist die Substanz, die ein naives junges Männchen in einen zärtlichen, beschützenden Partner und Vater verwandelt. Diese Verhaltensänderung beginnt mit der Kopulation. Unmittelbar nachdem sich ein Männchen mit einem Weibchen gepaart hat, beginnt es deutlich zu zeigen, dass es dieses den anderen Weibchen vorzieht. Es schmust mit seiner Auserwählten, pflegt ihr Fell und äußert seine Zuneigung auf alle möglichen Arten. Es greift aber fremde Wühlmäuse beiderlei Geschlechts an, die sich seiner Parzelle nähern. Aggression ist auch eine Möglichkeit, Bindung auszudrücken, und eine Präriewühlmaus nach der Paarung zeigt sich als ein überaus streitlustiger Geselle.
    Forscher haben die Rolle des Vasopressins bei dieser Veränderung darlegen können, indem sie den Wühlmäusen ein Präparat spritzten, das die Wirkung des Hormons unterdrückt. Solchermaßen behandelte Männchen behielten ihr sexuelles Interesse und paarten sich mit einem verfügbaren Weibchen, danach zeigten sie ihm jedoch weder besondere Zuneigung, noch wurden sie Fremden gegenüber aggressiv. Mehr noch: Verabreichte man Wühlmausmännchen Vasopressin, ohne dass diese sich zuerst gepaart hatten, so betrachteten diese Tiere das nächstbeste Weibchen, als wären sie eine Beziehung mit ihm eingegangen, zogen dieses jedem anderen vor und griffen jeden Eindringling unnachsichtig an.
    Bezeichnenderweise zeigten derartige Vasopressin-Manipulationen jedoch keinerlei Wirkung auf das Verhalten einer anderen, nicht monogamen Wühlmausart: Den Männchen von Microtus montanus fehlt die notwendige Gehirnverkabelung, um auf die Erfordernisse guten elterlichen Verhaltens eingehen

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