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SCHÖN!

SCHÖN!

Titel: SCHÖN! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebekka Reinhard
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Malerei die unbemalte Leinwand, in die man je nach Stimmung Nebel, Schnee oder Wasser hineinsehen kann). In sich Leere schaffen heißt, sich mit dem Dao eins zu fühlen, nicht krampfhaft nach dem Weg zu suchen, sondern ihn spontan beim Gehen zu finden. Aber das gelingt nur, wenn man sich von der Fixierung auf bestimmte Ziele löst. Im Wahren Buch vom südlichen Blütenland heißt es:
    »Der Säugling sieht den ganzen Tag lang die Dinge an, ohne zu blinzeln und zu starren, weil seine Augen auf keinen bestimmten Gegenstand gerichtet sind. Er geht, und hält inne, ohne zu wissen, was er tut. Er geht in seiner Umgebung auf und gibt sich ihr anheim. Das sind die Prinzipien geistiger Hygiene.«
    Kleinkinder und Betrunkene sind Zhuangzis Lieblingsbeispiele für die daoistische Lebenseinstellung: Sie repräsentieren den »leeren« Geist, der sich von nichts beherrschen lässt, sondern sich ohne Gefahrenbewusstsein, ohne Nützlichkeitsdenken spontan, fröhlich und flexibel auf die Abenteuer des Lebens einlässt – wie Pyrrhon, der vor lauter Gleichmut ab und an im Straßengraben landete.
    Das Ideal des Kindlich-Schlichten prägt auch das berühmteste Werk des klassischen Daoismus, das Daodejing (Taoteking) . »Das Buch vom Weg und der Tugend« ist Weisheits lehre, Naturphilosophie und Regierungsratgeber in einem. Seine 81 Kapitel enthalten knapp 200 ebenso einfache wie rätselhafte Merksprüche zum Singen und Auswendiglernen. Der mutmaßliche Autor Laozi (auch Lao-tse, Laotse) ( 6 . oder 3 ./ 4 . Jhd. v. Chr.) versucht in immer neuen Variationen etwas zu beschreiben, worüber sich eigentlich nichts sagen lässt: das Dao – und die daoistische Lebenseinstellung: »Das Dao tut nichts, und doch bleibt nichts ungetan.«
    Dieses Nichtstun – genauer: Nicht-Handeln – ist von Passivität und Trägheit weit entfernt. Wu wei, »Nicht tun«, heißt ganz einfach, die Dinge so zu lassen, wie sie sind, nichts mit Gewalt zu erzwingen und nicht den Lauf der Natur zu stören. Wu wei bezieht sich auf das Dao genauso wie auf den Menschen, der seinem Rhythmus folgt. Nach dem Daodejing ist Wu wei weder eine Fähigkeit noch ein Know-how, das mittels bestimmter Strategien erlernt werden könnte. In diesem Punkt unterscheidet sich die daoistische von der skeptizistischen Gelassenheit. Sich, wie Pyrrhon es tat, systematisch darauf zu konditionieren, »das Menschsein abzulegen«, um die totale, götterähnliche Seelenruhe zu erlangen, hätte Laozi lächerlich gefunden. Aus seiner und Zhuangzis Sicht ist es unmöglich, sich ums Wu wei zu bemühen. Wer es dennoch versucht, hat nicht verstanden, worum es geht. Wu wei dient überhaupt keinem Zweck außer dem, der sich spontan aus ihm ergibt. Der Daoist, der »nicht tut«, tut nur so lange etwas, wie er es angenehm empfindet. Wenn die Stimme der Natur ihm sagt, dass es genug sei, tut er etwas anderes. Er steht auf, trinkt eine Tasse Tee, meditiert, geht schlafen, tanzen oder schwimmen. Er stemmt sich der Funktionsweise seines Organismus nicht entgegen, sondern passt sich ihr möglichst geschmeidig, möglichst anstrengungslos an. Er neigt sich nach der Natur wie das Segel nach dem Wind. Wie die Weide die Last des Schnees abfedert, federt er alles ab, was zu schwer ist, um getragen zu werden. Heiter und klaglos akzeptiert er auch die hässlichen Seiten des Lebens: Schmerz, Krankheit und Tod. Denn er weiß: Alles, was natürlicherweise geschieht, ist schön und gut – weil alles Teil des kosmischen Wandels ist.
    Für Laozi hat Wu wei aber auch eine politische Bedeutung. Was für die Natur gilt, lässt sich seiner Meinung nach auf Staat und Gesellschaft übertragen: Nicht-Eingreifen ist die höchste Tugend. Je mehr Aktionismus, desto größer das Chaos. Je mehr Einschränkungen, desto mehr Rebellion, desto mehr Unglück. Für Laozi kann nur Wu wei Möglichkeiten schaffen, um den Teufelskreis aus Gewalt und Unterdrückung zu stoppen. Ein Herrscher zeigt sich nur dann seiner Macht würdig, schreibt Laozi, wenn er sein Volk regiert, »wie man kleine Fische brät«: vorsichtig und ohne hektisches Hin- und Herwenden, damit sie nicht auseinanderfallen. Der daoistische Staatsmann denkt nicht daran, das Wirken seiner Untertanen durch Verbote und bürokratische Reglementierungen zu behindern. Er zieht es vor, darauf zu vertrauen, dass das Volk die Potenziale, die in ihm stecken, von selbst entfaltet: »Wer etwas tut, zerstört es ; / Wer etwas festhält, verliert es.«
    Das Daodejing ist somit als Einladung zur

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