Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
nach seinem Tod ließ dieses Pferd die Sonne für mich scheinen. Seinen Namen werde ich nie vergessen. Auf diese Weise konnte ich einen Blick in die Welt des Landadels werfen, die mir sonst vollkommen verschlossen geblieben wäre.
Politisch gesehen waren die Pferde züchtenden Landadeligen des Forez alles andere als wilde Radikale. Beim Mittag- wie beim Abendessen lauschten wir den erkennbar voreingenommenen Nachrichten des Vichy-Senders in respektvollem Schweigen. Schließlich geriet ihr resignierter Glaube an den Sieg der Deutschen und ihre Anerkennung des alten Staatschefs Marschall Pétain doch noch ins Wanken. Ich überredete sie, zunächst den Schweizerischen Rundfunk auf Französisch und dann den Sender France Libre aus London zu hören.
Das Ergebnis hatte ich nicht erwartet. Als sie aus London die Schilderung des Hintergrunds von General Charles de Gaulle vernahmen, spitzten sie alle die Ohren und erkannten ihn zunehmend als einen der Ihren an … während ich allmählich gewisse Zweifel bekam. Es war reiner Zufall gewesen, dass ich durch die dünne Trennwand meines Zimmers aus dem Radio meines Nachbarn den berühmten Aufruf vom 18. Juni 1940 gehört hatte, in dem der General die französische Nation aufforderte, den Kampf fortzusetzen. Während des Kriegs hatte es jedoch keine Seite für politisch vorteilhaft gehalten, den Franzosen zu sagen, dass General de Gaulle lange Zeit hindurch ein enger Mitarbeiter Marschall Pétains gewesen war – er war sogar Pate von dessen Sohn Philippe. Erst nach dem Krieg brachten dann einige Verteidiger Pétains vor, er und de Gaulle seien insgeheim Verbündete gewesen.
Meine Gastgeber in Forez während des Kriegs hatten sich ständig gefragt, wer ich sei; sie kamen nie wirklich dahinter, verhielten sich aber stets durch und durch zivilisiert. In ihrer Abgeschiedenheit fanden sie meine endlosen Geschichten vielleicht unterhaltsam. Viele Jahre später fuhren Aliette und ich dort vorbei. Frankreich war im Begriff, sehr reich zu werden, und anglo-normannische Pferde waren der allerletzte Schrei. Dieses Gut wirkte jedoch verlassen und ohne Charme.
Eine letzte Ironie – unsere Pferde waren entweder nicht eingeritten oder zu alt, weshalb ich nie das Reiten lernte.
7
Halleluja! Der Krieg ist vorbei, und ein neues Leben beginnt
Am 15. August 1944 landeten die Alliierten in Südfrankreich. Kurz danach gab die Besatzungsmacht an der südlichen Front ihre Stellungen auf und beeilte sich, weiter nach Norden zu kommen. Forez wurde dabei übersprungen. An der Nordfront wurde Paris am 25.August 1944 befreit. Die Befreiung löste eine Freudenexplosion aus, aber man fing auch an, alte Rechnungen zu begleichen.
Der Krieg mit seinen Ängsten und Entbehrungen hat bei mir Spuren hinterlassen, die nie mehr ganz verblassen sollten. Diese Spuren halten sich in den erkennbar großen Ereignissen, die mein Leben geprägt haben. Sie sind auch in kleinen Dingen erhalten geblieben – nach wie vor kann ich kein Papier wegwerfen, das eines Tages wieder gebraucht werden könnte.
In Kriegszeiten hatte ich einfach sehr viel Glück gehabt. Nachdem ich den in Polen heraufziehenden Schrecknissen knapp entronnen war, war es mir gelungen, die Besetzung Frankreichs zu überleben – mit ihren Zeiten erstaunlicher »Normalität« und den sie ablösenden haarsträubenden Episoden. Ich wurde nicht nur nie geschnappt, sondern erhielt – aus dem einen oder anderen Grund – immer wieder einen Pass, und man hat mich nie denunziert. Mir wurde enorm viel Hilfe zuteil, und noch mehr Hilfe muss ohne mein Wissen zustande gekommen sein.
Von der Taupe hatte ich so viel in mich aufgenommen, dass ich bei den Prüfungen sehr gut abschnitt, aber nicht annähernd genug, um einem der in Frankreich zählenden Klischees zu entsprechen. Mehr noch als meine Jahre in Polen war es die Kriegszeit, die mich fürs Leben »anders« werden ließ.
Meine Wochen in Le Châtelard verschafften mir eine ausgezeichnete körperliche Form. Doch in den Jahren danach bekam ich ständig zu hören, ich sähe älter aus, als ich tatsächlich war. Das änderte sich erst, als ich Aliette kennenlernte und heiratete.
Sobald es möglich wurde, hatten Léon und ich es eilig, uns in Roanne zu treffen. Erstaunlicherweise fuhr ein Zug von dort Richtung Westen nach Clermont-Ferrand – fahrplanmäßig! Wie es aussah, hatte man die Brücken der Bahn in diesen armseligen Bergen nicht als sprengungswürdig betrachtet. Der Anschlusszug nach Westen hatte
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