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Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Titel: Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoît B. Mandelbrot
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Argentinien … wer weiß? Mutter und ich sind seit unserer Hochzeit fünfmal durch Ereignisse fortgejagt worden, auf die niemand irgendeinen Einfluss gehabt hat. Eine Grundwahrheit solltest du nie vergessen: Professoren sind Beamte. Unruhen können dazu führen, dass du – wie Mutter – mit einem wertlosen ausländischen Zeugnis dastehst. Halte dich von Gebieten mit staatlichen Bescheinigungen und von großen Staatsorganisationen fern. Unterricht, Gesundheit und Juristerei sind die Pest. Entscheide dich für weit gespannte Fertigkeiten als Ingenieur, die in jedem Land unter jedem Regime benötigt werden.
    Vater, ein begabter Überlebenskünstler, bewunderte Gelehrsamkeit zutiefst und praktizierte sie auch – aber nur so weit das die Umstände zuließen. Er war fest davon überzeugt, dass Glück und Unabhängigkeit eines Gelehrten von einem ständigen Einkommen abhingen, das von unkontrollierbaren Ereignissen weitgehend unberührt blieb. Diese Haltung war ganz eindeutig durch das von ihm durchlebte Chaos geprägt worden. Heutzutage hört man in allen Medien genau diesen Rat: Verlasse dich nicht auf lebenslange Sicherheit durch einen einzigen Arbeitgeber. Viele Jahre zuvor hatte Vater seinem zwanzigjährigen Bruder Szolem den gleichen Rat gegeben. Erst Jahre später wurde mir klar, dass Vaters Denken einen viel breiteren Hintergrund hatte. Arbeit und Missgeschick des in Amsterdam geborenen portugiesisch-jüdischen Philosophen Baruch de Spinoza (1632–1677) hatten ihn sehr beeindruckt. Spinoza wurde von seiner Gemeinde ausgestoßen und verbannt, aber weil er ein geschickter Linsenschleifer im toleranten Holland war, blieb er dem freien Denken verhaftet. Seine geistige Stärke stand in scharfem Gegensatz zu seiner politischen Machtlosigkeit. In unserer Familie kam es keinem in den Sinn, politische Macht zu erlangen.
    Vergleichbare Familienauseinandersetzungen haben sich im Leben zweier Wissenschaftler abgespielt, die ich später kennenlernen sollte. Um dem Biologen Jacques Monod bei seiner Entscheidung zwischen Biologie und Musik zu helfen, ernannte sein einflussreicher Vater ein Komitee. Dieses erklärte, als Biologe würde er es mit Pasteur aufnehmen können, als Musiker mit Mozart. Er entschied sich für Biologie und erhielt den Nobelpreis.
    Für mich war der große Mathematiker John von Neumann wichtiger. Um 1920 befand sich sein Vaterland Ungarn in einer Wolke der Ungewissheit, die weit schlimmer war als jene in Polen im Jahr 1920 oder jene in Frankreich um 1945. Sein reicher Vater wollte, dass er auf Nummer sicher geht und technische Chemie studiert, willigte aber ein, den jungen Budapester Professor Michael Fekete anzuheuern, der feststellen sollte, ob man Janos, wie er damals noch hieß, auch gestatten solle, einen Doktorgrad in Mathematik zu erwerben. Fekete gab den Rat, Janos solle beides studieren. Und Janos brachte eine Mischung zustande, deren vollendete Zusammensetzung man wohl kein zweites Mal antreffen wird.
    Vieles in meinem Leben lässt sich leicht auf diesen schicksalsträchtigen Familienkriegsrat zurückführen. Letztlich blieben – mit einem höchst erfolgreichen Zug – sowohl mein Vater als auch mein Onkel siegreich, womit sie sich meine immerwährende Dankbarkeit verdient haben. Ihre jeweiligen Einflüsse gingen nicht einfach in mein Leben ein – sie köchelten unter den Schlägen und der Hitze aufeinander folgender Versuche und Irrtümer langsam vor sich hin und ergaben schließlich etwas völlig anderes – eine neue Legierung.

Heute entschieden, morgen revidiert
    Anfangs gaben die hohe akademische Stellung und die persönliche Autorität meines Onkels den Ausschlag, und ich schrieb mich hochgestimmt an der Normale ein. Ich hatte in der Tat jedes Recht, sehr stolz auf mich zu sein. Ich hatte den Krieg überlebt, größtenteils durch Hilfe und Glück, aber ebenso dank der Fähigkeit, auch mit den Füßen schnell zu denken. Dann – eine beinahe artistische Leistung – ging ich fast unvorbereitet in dieses Examen und landete sehr weit oben.
    An meinem ersten Tag an der Normale sprach der stellvertretende Direktor der Naturwissenschaften zwischen Tür und Angel mit mir. Wir erörterten meinen formalen Status als ausländischer Staatsbürger, der das reguläre Examen der ENS bestanden hatte und auf Einbürgerung hoffte. »Da gibt es keinerlei Probleme«, versicherte er mir. »Sobald Sie französischer Staatsbürger sind, werden Sie zum regulären Studenten. Bis dahin müssen Sie selbst für

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