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Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)

Titel: Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoît B. Mandelbrot
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Unterrichtsgebühren, Kost und Logis aufkommen. Jedenfalls ist Ihre Situation zwar selten, aber keineswegs einzigartig.« Ein Präzedenzfall, an den er sich erinnern konnte, war der damals auf der Höhe seines Ruhms stehende Philosoph Henri Bergson (1859–1941), dem – wie er anmerkte – »diese kleine anfängliche Komplikation keinen Schaden zugefügt hat«. Wir kamen überein, dass der Präzedenzfall schmeichelhaft und vielversprechend war.
    Leider sah ich mich im weiteren Verlauf des ersten Tages gründlich um, und das löste bei mir schreckliche Gefühle aus. »Was mache ich hier eigentlich? Das ist absolut der falsche Platz für mich.« Das lag vor allem an der Tatsache, dass ich mich schließlich mit einer Realität konfrontiert sah, die Szolem mir zutreffend geschildert hatte – einer Realität, die ich jedoch zuvor nicht beachtet hatte. In der reinen Mathematik begann der Bourbaki-Kult zu dominieren, und die Normale war im Begriff, davon überwältigt zu werden. Es war in der Tat der absolut schlimmste Ort für ein eigenwilliges Individuum mit stark ausgeprägten Vorlieben. Ich konnte mir keinen guten Grund vorstellen, hier zu bleiben, verbrachte den Tag in quälender Unentschlossenheit und ging für die Nacht nach Hause.
    Am nächsten Tag hatte ich mich Vaters Willen gebeugt und war zurückgekehrt, um mich abzumelden. Léon erinnerte sich später oft daran, wie mein Gesinnungswandel alle überrascht hatte. Diese Entscheidung, die Schule zu wechseln – obwohl sie die zweite Phase meines Lebens als Wissenschaftler komplizierter machte –, erwies sich als richtig und bestimmte mein ganzes wissenschaftliches Leben.
    Meine Entscheidung wurde weithin missverstanden und kritisiert; manche potenziellen Freunde konnten mir nie verzeihen. Szolem war verärgert und hatte Befürchtungen, wie sie jeder fanatische wissenschaftliche Purist angesichts neu kombinierter Möglichkeiten fürchtet. Selbst heute noch deutet manch einer an, ich hätte einen großen Fehler begangen.

Das Wetter und die Stimmung des Tages
    Persönliche Entscheidungen sind den zufallsbestimmten Einflüssen historischer Umstände unterworfen. Für die meisten Menschen in wohlhabenden und glücklichen Zeiten wirkt dieser Einfluss sehr graduell, doch an diesem Tag ganz zu Anfang des Jahres 1945 im kriegsmüden Frankreich galt das nicht. Der Kriegsrat der Familie war zwangsläufig vom historischen »Mikroklima« beeinflusst. Die Klasse von 1944 traf ihre Wahl mitten im letzten abscheulichen Kriegswinter. Warum hätte das keine Wirkung haben sollen? Die feindliche Gegenoffensive in den Ardennen, die zu dem beängstigenden deutschen Vorstoß bei Bastogne geführt hatte und das Kriegsende hinauszuzögern drohte, lag erst ein paar Wochen zurück. Paris war ohne größere Kriegsschäden davongekommen, aber kalt, trostlos und verzweifelt – es stank nach Armut und Verfall.
    Wäre ich ein treuer Anhänger der französischen Mathematik nach der Art von André Weil gewesen, wäre all das unbeachtet geblieben. Aber so beeinflusste die Stimmung jenes Tages zwangsläufig meine Entscheidung. Sonniges Wetter, eine gute Nachkriegsprognose und eine positive politische Lage hätten mich vielleicht dazu gebracht, den Aufenthalt im Laienkloster der École Normale annehmbar zu finden. Bei diesem Gedanken läuft es mir kalt den Rücken hinunter.

Generationenkonflikt unter Emigranten
    Etwa im März 1945 nahm Szolem seine Lehrtätigkeit am Collège de France wieder auf. Ich war als einziger junger Mensch dabei, und er hatte seine erste Vorlesung gezielt auf einem Niveau gehalten, dem ich folgen konnte. Die wenigen Teilnehmer gingen dann auf den gepflasterten Hof, wo sie vor allem Nachrichten darüber austauschten, wer den Krieg überlebt hatte und wer nicht.
    Ich sehe es noch vor meinem inneren Auge, wie Szolem mich allen vorstellte und mein skandalöses Verhalten in einem Ton schilderte, der einer Beerdigung angemessen gewesen wäre. »Nachdem dieser Knabe in die École Normale eingetreten war, ist er nach zwei Tagen wieder gegangen und will sich jetzt an der Polytechnique einschreiben.« Er konnte nicht verstehen, weshalb jemand sich nach einer Mathematik umsehen wollte, die sich von seiner oder Bourbakis Mathematik unterschied.
    Michel Loève (1907–1979), ein Jude aus Alexandria [3] in Ägypten, war auch dabei und sagte beruhigend, dass die Polytechnique selbstverständlich nur zweite Wahl, aber ganz in Ordnung sei, da ich dort unter Paul Lévy studieren würde.

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