Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
Ausgehmantel oder einem weiten Umhang kombiniert werden. Der Zweispitz dazu erinnert an Napoleon, nur dass die Spitzen nach vorn und hinten zeigen. Jeder von uns erhielt ein gerades Schwert, das – anders als die Uniformen – nach dem Abschluss zurückzugeben war.
Die große Uniform war wichtig für die vielen eleganten Gesellschaften, zu denen ich nie eingeladen wurde, aber auch für die recht häufigen Paraden über die Avenue des Champs-Élysées. Aus einer Klasse von etwas mehr als 200 Studenten paradierte eine Abordnung der 144 größten Studenten in zwölf Reihen und zwölf Marschsäulen, und so waren in jeder Wochenschau der noch fernsehlosen Zeit 144 große Uniformen – darunter auch meine – zu bewundern. Was den »Präzisionsdrill« betrifft, waren die wenigen Minuten besonders heikel, in denen jede Reihe ihre gerade Ausrichtung beibehalten musste, während wir »wie Ventilatorflügel« um den Arc de Triomphe marschierten. Zum Glück lag die große Tribüne mit Offiziellen, Gästen und Kamerateams in sicherem Abstand unten an der Sonnenseite der Champs-Élysées, wo sie sich zu einem Park erweitern.
© Benoît B. Mandelbrot Archives
Es bedeutete höchsten Stress, während einer Parade in der ersten Reihe zu marschieren. Mir gelang es nicht oft, diesem Schicksal zu entgehen. Irgendwie schaffte es mein nur wenig kleinerer Klassenkamerad André Giraud (1925–1997) stets, direkt hinter mir zu gehen, und er ermahnte mich jedes Mal, wenn ich mein gezücktes Schwert (meine »Tangente«) nicht mehr wie gefordert senkrecht hielt. Aus ihm wurde ein bewunderter, aber rücksichtsloser hoher Beamter und nach angemessener Zeit einer der wenigen Minister (zunächst für Industrie, dann für Verteidigung), an die man sich immer noch erinnert. An der Hochschule waren wir alles andere als verwandte Seelen, und ich bin froh, dass mein Schicksal nie in seine Hände gelegt wurde.
Doch sehr viel später, als unsere Wege sich in New York kreuzten, erlebten wir jene Art von gemeinsamem Einverständnis, die wohl alte Hunde verbinden muss, wenn sie sich erinnern, als Welpen zusammen gespielt zu haben. Mit unseren Märschen in großer Uniform präsentierten wir uns vor Charles de Gaulle, Winston Churchill und anderen von geringerem historischem Format. Am irrsten – und deshalb erinnerungswürdig – war, dass wir zu Ehren Ho Chi Minhs marschierten! Dieser vietnamesische Führer hatte Paris besucht, um einige noch ausstehende Details für einen friedlichen Abzug der französischen Truppen zu klären. Doch genau in dieser Nacht ließ der französische Marinekommandeur in Indochina, Admiral Thierry d’Argenlieu – ohne Erlaubnis aus Paris –, den großen, im Norden liegenden Hafen Haiphong bombardieren. Wütend flog Ho nach Hause, der Rest ist Geschichte.
Wer war dieser d’Argenlieu? Der zum Karmelitermönch gewordene Marineoffizier wurde von seinem Orden beurlaubt, um sich während des Kriegs de Gaulle in London anschließen zu können. Da nur wenige andere hochrangige Marineoffiziere ebenfalls dorthin gingen, wurde er zum Admiral befördert. Nachdem er die Indochinapolitik der Nachkriegsregierung seines Landes missbilligt und sich ihr widersetzt hatte, kehrte er ganz einfach zu den Karmelitern zurück. Er konnte nicht belangt werden, und man hat nie wieder von ihm gehört.
Meine Tiefstnote
Jeder von uns erhielt eine Note für »militärisches Benehmen«. Die meisten Offiziere wollten nicht, dass diese Note Einfluss auf die Rangfolge hatte, und Studenten erhielten in der Regel eine Bewertung von etwa 15/20. Es gab jedoch Ausnahmen. Beispielsweise hatte André Giraud im ersten Jahr wohl die Bewertung 18/20 bekommen. Im ersten Jahr hatte ich extrem niedrige 2/20. Im zweiten Jahr steigerte ich mich auf 13/20. Jahre später machte sich jemand einen Spaß daraus, mich meine Personalakte lesen zu lassen. Dort sah ich, dass Capitaine Wolf anmerkte, seine 2/20 sei als Benotung eines vorsätzlichen Störenfrieds zu sehen. Doch das war falsch. In Wahrheit hatte ich einfach keine Vorstellung von der Rolle militärischer Autorität. Das war wirklich so – und sowohl meine Entscheidung für die Carva als auch mein ganzer Lebensweg sollten zeigen, dass ich mich auch von beruflichen Autoritäten nicht beeindrucken ließ.
Bei dem Mann, der mich mit 2/20 benotet hatte, spielte ein ganz spezielles persönliches Interesse eine Rolle. Im Herbst, als er im Rang eines Leutnants ohne klar definierte Verwendung herumhing, wussten wir
Weitere Kostenlose Bücher