Schönes Chaos: Mein wundersames Leben (German Edition)
doch dieser neue Forschungsleiter konnte mich problemlos vergraulen, indem er mir irgendein Projekt zuwies, das ich einfach hassen würde.
Da ich fürchtete, dass das das Ende bedeutete, besuchte ich Weaver, der zu dieser Zeit bei der Sloan Foundation war. Er verriet, dass »Johnny« (der mehr als zehn Jahre zuvor an Krebs gestorben war) ihn noch zu Lebzeiten gebeten hatte, mich im Auge zu behalten, weil der von mir gewählte Lebensweg gefährlich sei und ich vielleicht Hilfe benötigen würde. Also bot Weaver mir ein zweijähriges Stipendium an, mit dem ich als Gastprofessor an einer Universität meiner Wahl willkommen sein würde. Außerdem meinte er, das Geld könne auch anders verwendet werden, weshalb ich zunächst versuchen solle, meine Differenzen bei IBM beizulegen.
Weaver, der meine Überraschung über diese Enthüllungen bemerkte, eröffnete mir noch weitere bedeutsame Fakten. Am Institut war von Neumann lange Zeit unzufrieden gewesen. Viele Mathematiker nahmen es ihm übel, dass er die »wahre« Mathematik zugunsten der Computer verlassen hatte. Mathematiker und Physiker verabscheuten seine bekannte, extrem an den Hardlinern orientierte Einstellung zum Militär. In gewisser Weise konnte er, solange er ein reiner Wissenschaftler unter reinen Wissenschaftlern war, die »Eingeborenen« beeindrucken. Als er jedoch zur Technik und zur Politik überging, hörte die Toleranz auf. Wie ich herausfand, hatte er in dem Jahr, in dem ich am IAS war, eine Stelle an der UCLA angenommen – weit weniger angesehen als Princeton, aber angeblich mit geringerem Stress verbunden. Er starb zu früh, um das noch herausfinden zu können.
Ich war so erleichtert über Weavers Angebot, dass ich ihm keine weiteren Fragen stellte. Wie waren er und Johnny im Gespräch auf mich gekommen? Welche weiteren, nicht angesprochenen Details der Story lauerten da noch im Hintergrund? Unwissenheit war ein Segen.
Als ich meine Arbeit wiederaufgenommen hatte, löste sich das von mir befürchtete Unwetter bald auf, aber ich bin dankbar, dass es mich zum Zeugen eines außerordentlichen Hilfsangebots von jenseits des Grabes machte. Von Neumann war nicht gerade ein warmherziger Mensch, aber er verstand mich (vielleicht von Einzelgänger zu Einzelgänger?).
Eine Bahnfahrt mit J. Robert Oppenheimer
Eines Tages, ich hatte gerade den Zug von Princeton nach New York bestiegen, wurde ich angenehm überrascht, als sich J. Robert Oppenheimer auf den Platz neben mir setzte. Nachdem er die Zeitung überflogen hatte, wandte er sich mir zu. »Sind Sie nicht gerade erst vom MIT zu uns gekommen? Erzählen Sie mir doch bitte, woran Sie arbeiten.« Diese Arbeit beschränkte sich auf meine Dissertation. Hocherfreut begann ich, sie kurz darzustellen. Er begriff auf der Stelle und vollständig, worum es mir ging, was die Beobachtung des Physikers Hans Bethe bestätigte, dass Oppie häufig ein ganzes Problem verstehen konnte, sobald er einen Satz gehört hatte , aber auch die Bemerkung des Physikers Robert Wilson: In seiner Gegenwart wurde ich selbst intelligenter, wortgewandter, energischer, vorausschauender und poetischer .
Nur widerstrebend hatte ich auf der Rolle der Thermodynamik im Kontext der Sozialwissenschaften bestanden – andere Physiker neigten dazu, diesem Thema mit Verachtung zu begegnen. Er dagegen war überrascht und beeindruckt und sagte mir: »Alle versuchen, die Thermodynamik in den Sozialwissenschaften anzuwenden, aber sie scheitern; Sie haben da wirklich etwas erreicht.«
Besonders aufregend fand er, dass meine Erklärung der Zipf-Mandelbrot-Formel den Begriff »Diskurstemperatur« einschloss. Dieser grundlegende Exponent ist gewöhnlich größer als 1, in bestimmten Fällen jedoch kleiner. In der Analogie zur Wärmetheorie bedeutete das, dass die Temperatur kleiner als null werden konnte! Dafür hatte ich in der Physik keine Entsprechung gefunden. Sehr aufgeregt unterbrach Oppie: »Dafür gibt es tatsächlich keine Entsprechung, aber Sie müssen den Physiker Norman F. Ramsey in Harvard kennenlernen. Seine jüngste Arbeit schließt Probleme ein, bei denen eine negative Temperatur unumgänglich und sehr bedeutsam ist.«
Schließlich erbat Oppie meine Hilfe: »Ich habe mich bemüht, Abendvorlesungen für die Historiker und die Damen zu organisieren, finde aber nicht genügend passende Dozenten. Wären Sie einverstanden, der Erste zu sein?« Ich holte tief Luft und willigte ein.
Feuerprobe: Die Vorlesung und eine gute Erholung
Vier Tage
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