Schottische Ballade
bedrängte ... und noch dazu vor all den Leuten? Zum Teufel noch mal, sie hätte auf ihr Gewissen hören und warten sollen, bis sie mit Lion alleine war, um Rache zu üben. Sie blickte auf den Honigkuchen, der vor Lions Platz auf einem silbernen Tablett lag.
Regsamkeit beim Eingang kündigte Lions Ankunft an. Er hatte sich gewaschen und ein frisches Gewand angezogen, sein Haar glänzte im Schein der Fackeln. Sie sah, wie er von einem Mann aufgehalten wurde und dann von einem anderen. Er blieb stehen und sprach mit jedem von ihnen. Sein Ausdruck war nachdenklich, als er ihnen zuhörte und etwas erwiderte.
Sie war erstaunt, dass Lion vom jugendlichen, sorglosen Hitzkopf, in den sie sich Jahre zuvor verliebt hatte, zu einem klugen und bedächtigen Mann geworden war. Man achtete hier seine Meinung, und seine Männer verehrten ihn mit einer Inbrunst, wie es nur wenigen Lords zuteil wurde. Letzte Nacht hatte sie ihn gefragt, ob seine Zeit in der Fremde gut genutzt gewesen sei. Nun hegte sie keinen Zweifel daran. Sosehr sie die Tatsache auch hasste, sein Vater hatte wohl daran getan, ihn wegzuschicken, damit er von anderen lernte.
„Hast du mich vermisst, Liebste?“ fragte er, als er sich neben ihr niederließ.
Rowena blickte zu ihm auf und wurde sich bewusst, dass auch dieser Blick ein Fehler war. Er saß so nahe, dass sie die Hitze seines Körpers spüren konnte. Seine Augen blitzten. Doch sie durfte dem Drängen, das er in ihr auslöste, nicht nachgeben. „Nein, das habe ich nicht“, gelang es ihr zu sagen.
Er lächelte und küsste sie rasch. „Lügnerin“, flüsterte er. „Du hast diesen Augenblick so heiß ersehnt wie ich.“
Rowena kicherte. Wie Recht er doch hatte. Sie lachte erneut, erfreut über seinen neugierigen Blick. „Du bist zu überheblich, was dich angeht.“
„Ein zaghaftes Herz hat noch niemals ein schönes Mädchen gefreit ... besonders nicht, wenn sie so starrköpfig war wie du.“ Er nahm ihre Hand und spielte mit den Fingern.
Diese schlichte Berührung ließ sie erschauern. „Musst du mich anfassen?“ Mit einem Ruck entzog sie ihm ihre Hand.
„Ein Mann darf wohl die Hand seiner Versprochenen halten.“ Ein zarter Hinweis auf ihre ungewollte Vereinbarung. „Ich hörte, der Jagd war kein Erfolg beschieden.“
„Dies ist eine Frage der Betrachtung.“ Sein Blick war auf sie gerichtet, und sie las viele verborgene Bedeutungen darin.
„O Lion, weißt du, wo Colin ist? Ist er in Sicherheit?“
„Ssch. Nicht hier.“
Alexander betrat die Estrade und warf sich in den hochlehnigen Stuhl neben Lady Glenda. „Wo sind die Speisen?“ fragte er. „Willst du mich verhungern lassen?“
Lady Glenda sprang mit bleichem Gesicht auf und klatschte in die Hände. Sofort wurde die Küchentür aufgestoßen, und eine lange Reihe von Bediensteten eilte mit Speisebrettern, beladen mit dampfenden Köstlichkeiten, herein.
Rowena starrte den Earl an. „Oh, ich hasse die Art..."
„Bleib ruhig, Mädchen“, drängte Lion und legte die Hand auf ihren Arm.
Sie seufzte. Doch er hatte Recht. Eneas und Georas saßen an der Haupttafel, und der Lärm im Saal ebbte in den ungelegensten Augenblicken ab. „Männer können solche Scheusale sein.“
„Ich würde dir beipflichten, wenn ich nicht denken müsste, dass du mich in diese Betrachtung mit einbeziehst.“
„Mit Bestimmtheit“, sagte sie und warf den Kopf in den Nacken.
„Schade. Ich habe mich selbst immer als Adler betrachtet, der über dem gewöhnlichen Mann schwebt.“
„Dünkel.“
„Selbstbewusstsein“, erwiderte er. „Und du ...? Ach, du bist ein Fuchs, denke ich. Eine goldbraune Füchsin mit weichem Fell und ..."
„Scharfen Zähnen. Nimm dich in Acht, Adler, dass du mir nicht zu nahe kommst und ich dir die Federn ausrupfe.“
„Hab keine Angst“, sagte Lion, als er ihr eine Auswahl von gebratenem Lamm und frischem Lachs vorlegte. „Der Adler ist viel zu schlau, um von einem Fuchs gefangen zu werden.“
„Ist er das tatsächlich?“ Rowena warf verstohlen einen Blick auf den köstlich duftenden Honigkuchen.
„Wein?“ Er hielt ihr den Becher hin, den Blick auf sie gerichtet, während sie trank. Ein warmes Leuchten blitzte darin auf, als er den Becher nahm und von derselben Stelle trank.
Oh, er ist geübt im Schmeicheln, dachte sie. Ihr Blick war immer noch von dem seinen gefangen. Das hat sich nicht geändert. In ihren Gedanken tauchten Bilder des Traumes vom Morgen wieder auf und verhöhnten sie mit köstlichen
Weitere Kostenlose Bücher