Schreib und stirb (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
heute Vormittag Zeit für mich.“ Sie war bereits losgefahren und befand sich auf der Staffelegg, wohl wissend dass sich ihr Chef nicht dagegen wehren würde. „Günther Kobel will mir sämtliche Unterlagen zu den Werken von Bär geben, inklusive Verkaufszahlen, und das wird unser Bild von ihm als Schriftsteller vervollständigen. Ich bin vermutlich um die Mittagszeit wieder im Büro, in Ordnung? – Danke, bis später.“ Ausser ein paar Motorrädern befand sich niemand auf der Strasse, sie kam gut voran und parkte um viertel nach zehn Uhr vor dem schmucken Einfamilienhaus, in dem Kobel wohnte und arbeitete. Obwohl er den Kirchenmaus-Verlag letztes Jahr geschlossen hatte, war seine Leidenschaft überall sichtbar: sogar in der Küche standen Kisten voller Bücher, in den Gestellen im Korridor stapelten sich gleich aussehende Bände, kein Quadratzentimeter leere Wand war zu sehen.
Der korpulente, glatzköpfige Verleger führte seinen Gast ins Büro, brachte Kaffee und setzte sich hinter den Schreibtisch. „Der Tod von Guido Bär berührt mich sehr, Frau Kaufmann, obwohl ich ihn in den letzten Monaten nicht mehr gesehen habe. Was ist denn genau passiert?“
Angela vertraute dem alten Herrn und erzählte, was sie wusste. Er schüttelte nur den Kopf und murmelte „o tempora, o mores“; der heutige Sittenzerfall sei schwer zu begreifen. Aber sie sei ja nicht gekommen, um mit ihm zu philosophieren, sondern um Fakten zu erfahren, nicht wahr. Er holte zwei dicke Aktenordner aus einem Gestell und legte sie vor ihr auf den Tisch.
„Das hier ist alles, was ich zu Guido Bär habe. Selbstverständlich besitze ich auch die Originaltexte, aber die interessieren Sie wahrscheinlich nicht. Ich gebe Ihnen nachher noch eine Taschenbuchausgabe aller Romane von Guido. Sie haben mit all dem sicher für die nächsten Tage genug zu lesen“, schmunzelte er und lächelte sie aus seinen verschmitzten Augen an.
„Danke, Herr Kobel, ich werde mich intensiv damit befassen. Aber sagen Sie, wer war Guido Bär? Ich meine den Schriftsteller, aber auch den Menschen.“
Kobel lehnte sich zurück. „Er war mein einfachster und genügsamster Autor, wenn auch nicht der erfolgreichste. Die Zusammenarbeit war sehr angenehm und konstruktiv, er erwartete keine Wunder von mir und war dankbar für jede Anstrengung, die ich für den Verkauf seiner Werke unternahm. Er wollte gute Unterhaltungsliteratur schreiben, und das konnte er auch; man merkt in jedem seiner Texte, dass er ein waches Auge hatte für die reale Welt, wie sie sich für die meisten Leute darstellt. Seine Romane sind bevölkert von gewöhnlichen Menschen mit ihren alltäglichen Sorgen, Konflikten und Leidenschaften; genau das war es, was seine Leserschaft von ihm erwartete und weswegen man seine Romane mit Vergnügen las. – Stört es Sie sehr, wenn ich rauche? Danke.“ Er nahm eine Zigarette aus einem antiken silbernen Etui.
„Das Problem, wenn man es denn so nennen kann, liegt in diesen Fällen bei der Literaturkritik und bei den grossen Verlagen. Seine Texte sind sprachlich zu wenig dicht und ausgefeilt, um von den wichtigen Leuten in den wichtigen Zeitungen besprochen zu werden oder die grossen Preise zu ergattern. Die Verlage wiederum erhalten zu viele Manuskripte, als dass sie die wirklichen Rosinen herauspicken könnten; es ist ein schwieriges Geschäft geworden, man muss darauf achten, dass sich die Sachen gut verkaufen, sonst ruiniert man sich. Sie sehen es an mir, ich musste letztes Jahr aufgeben, trotz Guido Bär.“
„Das heisst, Sie haben Geld verdient mit seinen Büchern.“
„Sagen wir mal so, ich konnte die Kosten decken. In den letzten fünf Jahren haben Guido und ich je etwa das Grundgehalt eines frischgebackenen Polizeibeamten verdient, nicht mehr. Wenn ein neuer Roman herauskam, wurden die alten jeweils auch wieder verkauft, und so kamen immer ein paar Franken zusammen. Letztes Jahr, im Alter von siebzig Jahren, habe ich mich dann schweren Herzens entschlossen, den Verlag zu liquidieren, nachdem einer meiner wichtigsten Autoren zu einem anderen Verlag gewechselt hatte. Es ist ein bisschen wie im Fussball, wissen Sie, manche Autoren sind Diven und lassen sich gerne blenden.“ Er schenkte Kaffee nach. „Ich spreche nicht von Guido Bär, natürlich. Er war wie gesagt bescheiden und genügsam, ich glaube, er war ein zufriedener Mensch, bestimmt seit er mit seinem Pavel zusammen war. Es war, als ob diese Beziehung ihm alles gab, was er zum Leben brauchte.
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