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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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geschleppt hätte? Hätte er Karriere machen können und wollen an einer Universität, wo er, unter dem Vorwand, wissenschaftliche Forschung und Lehre zu betreiben, irgendwelchen Unsinn in einer Fremdsprache gequatscht hatte, nicht, was er sagen wollte, sondern immer nur, was er sagen konnte?
    Die Vorstellung, was wäre, wenn er in Brasilien geblieben wäre, irritierte ihn genauso wie die Tatsache, daß er hier war. Ihn irritierte alles. Richards Ziegenstallgeruch genauso wie diese Menschen, die eines Abends plötzlich im Haus saßen, Aussteiger, die sich in der Umgebung angesiedelt hatten mit ihren Bio-Landwirtschaftsprojekten. Ehemalige Lehrer, Studienabbrecher oder sanfte Erben mit Nickelbrillen, die ihr Erbe alternativ verwirtschafteten, saßen plötzlich mit ihren Latzhosen oder indischen Pumphosen hier beisammen, um Formen der Zusammenarbeit zu besprechen, sie alle waren jünger als Roman und sagten ununterbrochen Anne zu seiner Mutter.
    Ihm ging alles auf die Nerven. Und eines Tages, als er früher aufgewacht war als sonst, sah er, als er in die Stube kam, seine Mutter und Richard nebeneinander auf dem Boden liegen, auf dem Rücken, die Beine zurückgeklappt, so daß die Füße hinter ihren Köpfen den Boden berührten. Was er zuerst sah, waren ihre aufgetürmten Hinterteile, wie fett und breitarschig seine Mutter geworden war! Und was sollte das überhaupt? War das Morgengymnastik? Aber warum bewegten sie sich dann nicht?
6.
    Bruno Maria König hatte keine Chance, seinem Vater nachzugeraten. Der zweite Vorname war der ausdrückliche Wunsch der tiefkatholischen Frau des Bürgermeisters gewesen, und Adolf König ärgerte sich oft darüber, daß er ihr nachgegeben hatte. Ab und zu wurde er im Wirtshaus launig darauf angesprochen, und er war es leid, dann ebenso launig auf Klaus Maria Brandauer zu verweisen, der es zum Weltstar gebracht und sogar in einem James-Bond-Film mitgespielt hatte.
    Bruno wurde jeden Tag nach Schruns in die Schule gebracht, wo es auch ein Gymnasium gab, das er später besuchen sollte. Und wenn er nach der Schule zu Hause war, wurde er von seiner Mutter systematisch von den anderen Komprechtser Kindern ferngehalten, die so dreckig und speckig herumliefen, nicht schön sprachen und so rohe und grobe Spiele spielten, die nicht selten zu Verletzungen führten. Den Umgang mit diesen Kindern mußte sie Bruno nicht mehr verbieten, seit er einmal von diesen Mitzi gerufen worden war.
    Der Sohn des leutseligen, selbstbewußten Bürgermeisters war ein scheuer, einsamer Junge, der errötete, wenn ein Erwachsener ihn ansprach, und der sich zurückzog, wenn er die anderen Dorfkinder sah.
    Einmal hatte er sich im Wald eine kleine Hütte gebaut, aus Ästen, Zweigen, Laub und Moos, die er, um alleine zu sein, immer wieder aufsuchte. Als er eines Tages zu seiner Hütte kam, sah er, daß einige Kinder von Steinbrucharbeitern sie entdeckt hatten und im Begriffe waren, sie zu zerstören. Es war zu spät, um umzukehren und davonzulaufen, sie hatten ihn schon gesehen.
    Ob er diese Hütte gebaut habe?
    Er konnte nicht verstehen, warum diese Kinder die Hütte unbedingt zerstören mußten, und schon am selben Abend, als er im Bett lag und nicht einschlafen konnte, hatte er die phantastischen Begründungen vergessen, die sie dafür gehabt haben. Aber lange noch hatte er das Bild vor Augen, wie er, um heil aus der Situation herauszukommen, geleugnet hatte, daß er etwas mit dieser Hütte zu tun habe, und gemeinsam mit den anderen die Wände seiner Waldhütte niederriß, die er so liebevoll aufgebaut hatte, wie er mit Seht-alle-her!-Gesten die Äste zerbrach, die er zusammengetragen, und wie er auf dem Moos herumtrampelte, das er so sorgfältig in großen Fladen vom Waldboden abgelöst hatte. Es war wie ein Rausch, bei dem die Zerstörungswut jedes einzelnen die der anderen noch steigerte, so daß sie – und er mitten darin, angstvoll eifrig allen voran – schließlich sogar schon zerstörte Teile noch einmal, noch gründlicher zerstörten.
    Und dann wäre seine Selbstverleugnung beinahe noch vergebens gewesen, als ein Kugelschreiber gefunden wurde, auf dem der Name seines Vaters stand. Ob das nicht doch seine Hütte gewesen war? Eine Frage, die plötzlich einen Kreis um ihn bildete. Aber nein, so einen Kugelschreiber hat doch jeder, davon gibt es Hunderte, ein Werbegeschenk, das von seinem Vater vor der letzten Wahl verteilt worden war.
    Hatten sie ihm geglaubt, und war es Anerkennung für sein eifriges Mitmachen,

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