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Schuld währt ewig

Schuld währt ewig

Titel: Schuld währt ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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Stimme. Weshalb meldet er sich denn nicht?, insistierte sie. Du bist einfach nachts aus seinem Haus verschwunden, und er ruft nicht an. Es interessiert ihn nicht, wie es dir geht, nachdem er dir unter die Nase gerieben hat, was du getan hast. Es ist ihm egal, ob du gegen einen Brückenpfeiler …
    Sanne legte das Stück Kolophonium beiseite. Nein. Das hatte sie nicht vorgehabt. Nicht wirklich. Für einen Augenblick war es ihr als verlockende Lösung erschienen. Das war verständlich, nach allem, was sie Stunden zuvor erfahren hatte. Und dann noch der Wein.
    Wie hatte sie die Wahrheit nur so lange verdrängen und vergessen können?
    Plötzlich sah sie die Zeitschrift wieder vor sich, die bei Thorsten im Wohnzimmer gelegen hatte. Das Leben als Erfindung? Natürlich. Man frisierte seine Erinnerungen, merkte sich angenehme, schöne, erfreuliche Begebenheiten und schob die hässlichen, peinlichen, schrecklichen beiseite. Das war doch verständlich. Sie hatte sich das nicht ausgesucht. Es war ohne ihr Zutun geschehen.
    »So. Jetzt ist es gut. Schluss mit der Gedankenwenderei«, rief sie sich zur Ordnung. Den entscheidenden ersten Schritt hatte sie getan. Sie hatte einen Anwalt.
    Bis Mittag arbeitete sie so konzentriert es unter diesen Umständen ging und schaffte es, die Bögen zu behaaren. Inzwischen war die Mail von Vincent Becker im Postfach gelandet. Sie druckte sie aus, unterschrieb sie und fuhr in die Stadt. Zuerst lieferte sie die Bögen bei Frederick ab und nahm neue Aufträge mit, anschließend fuhr sie in die Nymphenburger Straße, suchte die Kanzlei von Dr. Vincent Becker auf und gab bei seiner Sekretärin die Vollmacht ab, denn Becker war unerwartet zu einem Mandanten gerufen worden.
    Gegen drei Uhr war Sanne wieder daheim. Sie hatte insgeheim gehofft, Herr Kater würde schon auf sie warten.
    Doch er war nirgendwo zu sehen.

58
    Durch drei Whisky befördert, hatte Dühnfort tief und traumlos geschlafen. Am Morgen stand er früh auf und ging auf den Balkon.
    Nebel hing zwischen den Bäumen des Friedhofs. Ab und an hörte er den dumpfen Aufprall einzelner Tropfen auf dem nassen Teppich aus Laub, der Wege und Gräber bedeckte. Der Friedhof lag unter ihm wie immer, scheinbar unberührt von Einsatzfahrzeugen und Spurensicherung. Gestern Abend. Es kam ihm unwirklich vor. Als wäre all das nicht geschehen. Er fühlte sich merkwürdig ruhig, wie heruntergedimmt. Wie lange hatte das Ganze gedauert? Zehn Sekunden? Fünfzehn? Ihm war nichts geschehen. Er hatte Glück gehabt. Alois. Ohne zu zögern … kaltblütig den Sekundenbruchteil nutzend … Wenn er nicht …
    Er war aber da gewesen. Warum auch immer. Dühnfort atmete kühle Luft ein und verbannte Helmbichlers Gestank, seine Worte, das Klappen des Butterflymessers, in eine Kammer seiner Erinnerungen und schloss die Tür. Es ist, wie es ist, dachte er. Mir geht es gut. Ich habe Glück gehabt. Es hat keinen Sinn, darüber zu grübeln. Jede Menge Arbeit liegt vor mir. Vor uns. Darauf sollte ich mich konzentrieren. Wenn mir das nicht gelingt, wird es weitere Tote geben.
    Aus der Küche drang ein Klappern. Gina schaltete die Espressomaschine an, kam zu ihm auf den Balkon und umarmte ihn. Gemeinsam schwiegen sie und blickten auf Grabtafeln, Kreuze, Ewige Lichter.
    »Wie geht es dir?«
    »Gut«, sagte er.
    »Du steckst das ziemlich locker weg.«
    Er zog sie an sich und sog diesen wunderbaren Ginaduft ein. »Wäre es dir lieber, wenn ich mir ausmalen würde, jetzt auf einem Tisch der Weidenbach zu liegen, oder wenn ich mich in unsinnige Sinnfragen versteigen würde? Ich lebe, und es gibt einen Haufen Arbeit. Dafür brauche ich meine Energie.«
    »Klingt alles sehr vernünftig. Passt aber nicht zu dir.«
    »Gelte ich sonst als eher unvernünftig?« Lachend nahm er sie in die Arme. »Gina. Alles ist gut. Wirklich.«
    Gemeinsam frühstückten sie in der Küche, tranken Cappuccino, aßen aufgebackene Croissants und machten sich auf den Weg. Alles wie immer. Und doch fühlte sich alles anders an. Ein wenig wattig und entfernt.
    Im Präsidium angekommen, suchte er Mertens auf, der die Ermittlung im Fall Helmbichler leitete, und machte seine Aussage. Dann ging er ins Büro. Die Fahndung nach Voigts Fahrzeug war nach wie vor erfolglos. Es war schon kurz vor elf und damit der Deal mit Leyenfels gültig. Er wollte sich gerade auf den Weg zu ihm machen, als er auf seinem Handy Heigls Nachricht entdeckte mit der Bitte, bei ihm im Büro zu erscheinen.
    Sein Vorgesetzter zeigte sich

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