Schuld währt ewig
ausgeschiedenen?«
»Puh.« Neumeier stieß die Luft aus. »Ich werde es versuchen.«
»Wissen Sie noch, wer bei den beiden Unfällen im Einsatz war?« Eine Frage, die vermutlich nach so langer Zeit nicht zu beantworten war. Doch Thorsten Languth erinnerte sich. »Bei Flade hatte ich Dienst. Natürlich nicht alleine, wir waren zu dritt. Franz Meer und Uli Rodewald waren an dem Einsatz beteiligt.«
»Und bei Martina Oberdieck?«
Bedauernd schüttelte Languth den Kopf. »Keiner meiner Einsätze. Da bin ich mir ganz sicher.«
»Aber jemand hat sich an Martina erinnert. Sie haben ja gerade über sie und Flade gesprochen.«
»Sie und Jens haben ein paar Mal eine Selbsthilfegruppe besucht, die ich mit meiner Exfreundin gegründet habe.«
»Welche Selbsthilfegruppe?«
Languth lehnte sich gegen die Tischkante. »Meistens gibt es bei tödlichen Unfällen einen Schuldigen, jemanden, der einen Fehler gemacht oder nicht aufgepasst hat, der betrunken war oder unter Drogeneinfluss stand. Die Fronten sind klar. Die Rollen verteilt in Opfer und Täter, wenn ich das mal so krass formulieren darf. Die Hinterbliebenen haben jemanden, den sie verantwortlich machen können. Das ist einfacher, als an eine schicksalhafte Fügung zu glauben. Es sei denn, man ist gläubig. Doch wer ist das heute noch?« Ein Schulterzucken folgte. »Derjenige, der die Verantwortung trägt, wird zur Rechenschaft gezogen. Er wird bestraft. Alles hat seine Ordnung. Irgendeine Form von Gerechtigkeit entsteht. Das macht es für alle Beteiligten leichter. Nicht wirklich gut, aber erträglicher.
Doch es gibt diese seltenen Fälle, bei denen sich niemand etwas vorzuwerfen hat. Niemand hat schuldhaft oder fahrlässig gehandelt. Keiner hat etwas versäumt oder übersehen. Und trotzdem ist es passiert. Ein Mensch stirbt. Und niemand trägt die Verantwortung. Es gibt keinen Schuldigen und keine Strafe. Damit umzugehen ist schwer. Nicht nur für die Hinterbliebenen, sondern oft auch für diejenigen, die unschuldig schuldig wurden. Denn so fühlen sich viele von ihnen. Schuldig. Sie quälen sich mit unsinnigen Fragen, leiden manchmal unter Depressionen bis hin zu Suizidvorstellungen. Und manche, die dachten, sie wären darüber weg, werden Jahre später von einer Posttraumatischen Belastungsstörung eingeholt. Am Tod eines Menschen beteiligt zu sein, das steckt man nicht so einfach weg. Ehen scheitern, Karrieren gehen in die Brüche und das ganze Leben den Bach hinunter, wenn eine PTBS nicht erkannt und behandelt wird.«
Languth sprach ruhig, konzentriert und dennoch mit einer unterschwellig spürbaren Leidenschaft.
»Und für diese Menschen haben Sie eine Selbsthilfegruppe gegründet. Sind Sie Psychotherapeut?«
»Ich bin Altenpfleger. Stellvertretender Leiter einer Pflegestation, um genau zu sein. Daneben habe ich ein abgebrochenes Studium in Psychologie vorzuweisen und daher auf diesem Gebiet ein profundes Dreiviertelwissen.« Languth lächelte entschuldigend. »Um Ihre Frage zu beantworten: Meine Lebenspartnerin ist Psychotherapeutin. Also eigentlich Ex-Lebenspartnerin. Wir haben die Gruppe gemeinsam gegründet. Jetzt betreut sie die allein.«
»Welche Hilfsangebote machen Sie den Betroffenen?«
»Gesprächskreise, Gruppenabende und Vermittlung von Therapeuten und Therapieeinrichtungen. Je nachdem, was angebracht ist.«
»Jens Flade und Martina Oberdieck waren also Mitglieder der Gruppe.«
Languth zog die Schultern hoch. »Jens hat nur an zwei oder drei Sitzungen teilgenommen, und das ist lange her.«
Dühnfort stutzte. »Weshalb erinnern Sie sich dann so gut an ihn?«
»Ich habe ein gutes Gedächtnis. Aber das ist nur die halbe Antwort. Ich habe Jens nach dem Unfall betreut. Länger, als das eigentlich üblich ist. Damals war er noch Single. Seine Familie lebt nicht in München, er hatte also niemanden, der ihn auffing, und er war dabei, in eine Depression zu rutschen. Also habe ich mich um ihn gekümmert und ihm die Gruppe empfohlen. Ihm hat dieser ganze Psychokram , wie er unsere Arbeit genannt hat, dann doch nicht zugesagt.«
»Und Martina Oberdieck?«
»Bei ihr war es ähnlich. Sie ist auf Drängen ihrer Eltern zur Gruppe gekommen. Ich habe mir gleich gedacht, dass sie nicht lange bleibt.«
»Wie viele Mitglieder hat die Gruppe?«
Languth zog die Schultern hoch. »Das wechselt. Manche kommen, manche gehen. Allzu häufig geschehen derartige Unfälle auch nicht. Vielleicht acht bis zehn.«
»Sie haben sich aus der Gruppenarbeit
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