Schule versagt
dass Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit die Grundlagen unserer Beziehung waren, und so war es gemeint, wenn ich ihnen implizit sagte: »Ich habe Vertrauen zu euch!« Ich kann mich nicht erinnern, dass sie mich jemals enttäuscht hätten. Mit Beginn des zweiten Halbjahres kam keiner mehr verspätet in den Unterricht, keiner fehlte unentschuldigt, keiner war »krank«, wenn er nicht wirklich krank war. So war es selbstverständlich auch bei mir. Ich erinnere mich an Sitzungen, die von meinen Schülern vorbereitet worden waren und an denen ich teilnahm, obwohl ich eigentlich krankheitsbedingt hätte fehlen müssen. Einmal war ich derart erkältet, dass ich auf beiden Ohren kaum etwas hörte. Ich hatte sie gebeten, sich nicht direkt neben mich zu setzen wegen der Ansteckungsgefahr und bat die Referenten, etwas lauter zu sprechen. Sie taten es selbstverständlich, und ich sah ihren Augen an, dass sie wussten, ich war nur gekommen, um sie, die sich für diesen Tag vorbereitet hatten, nicht zu enttäuschen. Nie gab es eine Situation, wie ich sie in anderen Klassen so häufig erlebte: dass wir eine Planung der Vorträge gemacht hatten und die Referenten dann nicht erschienen, wenn sie mit ihrer Präsentation dran waren. Es kam einfach nicht vor. »Du bist verwöhnt!«, sagten meine Kollegen, als sei uns, mir und meinen Schülern, diese Vertrauensbasis einfach so zugeflossen.
Als wir ein halbes Jahr später eine Klausur über EVA gemeinsam vorbereiteten und meine Schüler in der Rolle des Professors oder Coaches oder anderer selbst gewählter Rollen systematisch und klar einen schriftlichen Vortrag über »EVA – Konzeption und Praxis« verfassten, wusste ich, dass wir uns verstanden hatten. Eswar die beste Rückmeldung, die ich bekommen konnte. In dieser Klausur konnte ich die Gauß’sche Normalverteilung 3 vergessen. Es gab keine schlechte Arbeit. Ich bekam sachkundige Vorträge, die, je nach Temperament des jeweiligen Schülers, mehr oder weniger lebendig oder eher durchgängig sachlich gehalten waren. Das war im zweiten Semester. Jetzt hatten sie nicht nur verstanden, sie wollten auch. Die fortschreitende Verfestigung der Entrepreneurship-Skills, insbesondere Selbstständigkeit, Kreativität, Entscheidungsfähigkeit und Unabhängigkeit, wurde immer deutlicher. Alles wurde erprobt und verbessert, und zwar vom ersten bis zum letzten Tag. Den intendierten Schlüsselqualifikationen kamen wir stetig näher, und es gab im Fachbereich keine Gruppe, die diese Qualifikationen besser verkörpert hätte als die Schüler, die mir drei Jahre lang anvertraut waren. Sie analysierten von Beginn an, trugen vor, entwarfen Präsentationen, erörterten, moderierten und strukturierten. Es war ein selbstverständlich ablaufender Prozess und keine Besonderheit. Es war das tägliche Brot und meine Schüler wurden immer souveräner. Es war schön, das zu sehen! Wir hatten hier ähnliche Erfahrungen wie die Schüler der Helene-Lange-Schule. Alles lief mit großer Konzentration ab, und das war für mich, nach den Eingangserfahrungen, sehr entlastend. Sämtliche Hinweise auf Ruhe oder irgendwie geartete Unterrichtsstörungen entfielen. Wir arbeiteten konzentriert und entspannt. Wenn Kollegen anderer Fachbereiche zu meinem »Experiment« sagten: »Was machen Sie da? Die Schüler kommen ja um vor Angst, wenn sie da vorne stehen und reden müssen!«, konnte ich sie nur ermuntern, unserem »Experiment« zu folgen und dieselben positiven Erfahrungen zu machen. Wirklich versucht haben es wohl wenige. »Die armen Schüler« wären überfordert gewesen, oder man hätte so viel Druck und Kontrolle ausüben müssen, dass das Ganze schon daran gescheitert wäre …
Wie von selbst verbesserte sich die Kommunikation fortlaufend. Das ist ganz klar, wenn man täglich übt, ohne äußeren Zwang und nicht angstbesetzt. Die Grundlage war, dass man sich den anderen verständlich machen wollte, und das, nicht ein von außen gesetzter Normenkodex, führte zur klaren, pointierten Formulierung. Bei all dem galt natürlich, dass noch kein Meister vom Himmel gefallen ist und dass ich selbst mitmachte. MeinePräsentationen, meine Kommunikation mussten mindestens ebenso gut sein wie die meiner Schüler. Ich bemühte mich vor allem, kausale Zusammenhänge deutlich zu machen. Diese Art der Analysefähigkeit ist das größte inhaltliche Manko in der Schule. Viele Lehrer beherrschen sie nicht und können sie deshalb auch nicht an ihre Schüler weitergeben. Deshalb
Weitere Kostenlose Bücher