Schumacher, Jens - Deep

Titel: Schumacher, Jens - Deep Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Schumacher

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Augäpfel kamen daraus zum Vorschein, glotzten Henry mit nachtschwarzen Pupillen an.
    Weitere runde Gebilde platzten auf, doch sie entblößten keine Augen, sondern klaffende Mäuler, ringsherum besetzt mit einer Unzahl nadelspitzer Reißzähne. Henrys Mund öffnete sich zu einem Schrei.
    In diesem Moment schoss der Tentakel vor, überbrückte die verbliebene Distanz binnen eines einzigen Wimpernschlags! Plötzlich sah sich Henry umringt von speichelfeuchten Hauern, das vorderste Maul schnappte zu, schloss sich um ihn. Und dann war da nur noch Finsternis …
    Mit einem erstickten Schrei fuhr Henry aus seinem Bett hoch.
    Zitternd presste er sich eine Hand vor den Mund, versuchte, sich zu orientieren. Im Bett nebenan hörte er seinen Vater leise vor sich hin schnarchen. Offenbar hatte sein Ausbruch ihn nicht geweckt.
    Das alltägliche Geräusch half Henry, in die Realität zurückzufinden. Seine Stirn war schweißnass, ebenso seine Beine, die sich in dem dünnen Laken verwickelt hatten. Er strampelte sich frei und versuchte, seinen rasenden Herzschlag unter Kontrolle zu bringen. Nur ein Traum, rief er sich immer wieder ins Gedächtnis. Nichts weiter als ein Traum.
    Das stimmte natürlich, und es tat gut, sich diese Tatsache in Erinnerung zu rufen. Ein beunruhigender Umstand blieb dennoch.
    Henry hatte so gut wie nie Albträume. Die letzte Gelegenheit, an die er sich erinnern konnte, lag gut fünf Monate zurück. Unmittelbar nach seiner Ankunft in der Antarktis hatte er von einer tentakelbewehrten Kreatur geträumt, die ein Schneefahrzeug mit seinem Vater darin verschlang. Zwar weigerte sich Henry, die Vision in irgendeiner Form als Omen anzusehen, sicher war aber, dass jener Traum damals den Beginn einer Folge schrecklicher Ereignisse markiert hatte …
    Eine schwere, schokoladenbraune Hand fiel auf seine Schulter und riss Henry abrupt aus seiner Grübelei.
    Neben ihm auf dem Kai stand Gordon McKenzie und präsentierte ihm grinsend seinen Goldzahn. »Batterien sind aufgeladen, Manipulatoren und Scheinwerfer gecheckt, Videokamera samt Weitwinkelaufsatz einsatzbereit«, verkündete er gut gelaunt.
    Henry verdrängte die Erinnerung an den nächtlichen Zwischenfall und brachte ein Lächeln zustande.
    »Die See ist ruhig, die Sonne lacht, und laut Wetterbericht soll das den ganzen Tag so bleiben.« McKenzie deutete zu seinem Tauchboot, das hinter der Massai im Wasser lag. »Von mir aus kann’s losgehen.«
    »Von uns aus ebenfalls.« Mit energischen Schritten trat Henrys Vater auf die Gangway und ging an Bord, gefolgt von Becca.
    Nach kurzem Zögern folgte auch Henry.

18

    INDISCHER OZEAN SÜDLICH VON JAVA,
    27. SEPTEMBER 2013

    »Darf ich Sie etwas fragen, Gordon?«
    Gordon McKenzie wandte den Blick von der spiegelglatten blauen See ab und drehte sich zu Henry um, der auf einem Klappstuhl hinter ihm in der Steuerkabine der Massai saß. »Verdammt, natürlich, Junge. Rück raus damit!«
    »Sie haben gesagt, der Sundagraben – also die Region, wo das U-Boot gesunken ist – sei über sieben Kilometer tief. Laut Irving und Rudd liegt die U-196 aber nur in rund vierhundert Metern Tiefe. Wie geht das zusammen?«
    Auch Dr. Wilkins, der dicht vor der Frontscheibe stand und mit einem Feldstecher aufs Meer hinausblickte, wandte sich zu dem Meeresbiologen um.
    »Der Bereich, den man ›Sundagraben‹ nennt, ist riesig«, gab McKenzie Auskunft. »Die tiefen Regionen beginnen erst mehrere Hundert Kilometer vor der javanischen Küste. Die Koordinaten, die wir ansteuern, liegen im oberen Bereich des sogenannten Kontinentalhangs.« Der Biologe wartete auf ein bestätigendes Nicken, das jedoch ausblieb. »Man unterscheidet drei grundsätzliche Bereiche des Meeresbodens«, fuhr er fort. »Das Kontinentalschelf, den Kontinentalhang und den eigentlichen Ozeanboden. Als Kontinentalschelf bezeichnet man den Streifen sanft abfallenden Meeresbodens, der alle Kontinente umgibt. In diese Region, die bis in etwa einhundertdreißig Meter Tiefe hinabreicht, dringt noch Sonnenlicht vor. Das bedeutet, es findet Photosynthese statt, es gibt massenweise Phytoplankton, Pflanzen, Korallen – wie man das Leben im Meer aus den Fernsehdokumentationen am Samstagnachmittag kennt.«
    Jetzt hatte Henry ein Bild vor Augen. Er nickte.
    »Die nächsttiefere Region ist der sogenannte Kontinentalhang«, führte McKenzie weiter aus. »Er beginnt, wo das Gefalle des Schelfs steiler wird, und reicht bis in jene Tiefen, die wir Tiefseeboden nennen. Die