Schummeln fuer die Liebe
sicheren Gewässern unterwegs. Wir plaudern noch ein bisschen über dies und das. Zum Schluss fragt Teresa mich noch, ob ich denn nun mein Handy am Ladekabel habe und ob ich wirklich glaube, dass meine Eltern mir erlauben, Raoul in seiner Hütte zu besuchen.
»Keine Ahnung!«, sage ich. »Drück mir die Daumen!« Und dann lege ich auf.
Ich trete ans Fenster und gucke rüber zu Stadlers. Die meisten Fenster sind hell erleuchtet. Im Wohnzimmer flackert bläuliches Licht. Klar, es ist Sonntagabend. Stadlers gucken
Tatort
.
Wie lang so eine Liebe wohl dauert? Viele hören ja auch irgendwann auf, sonst gäbe es keine Scheidungen und Julian hätte nicht schon die fünfte Freundin. Manche dauern aber auch ein ganzes Leben. So war es bei Oma und Opa. Oma liebt Opa ja immer noch, obwohl er schon vor drei Jahren gestorben ist. Ob ich Flo bis an mein Lebensende lieben werde? Die ganze Zeit mit diesem Raoul im Schlepptau? Ich schüttle mich. Dann gehe ich ins Bad zum Zähneputzen und dabei fällt mir ein, dass ich für die Englischarbeit morgen noch kaum was getan habe. Ich nehme das Buch mit ins Bett. Vielleicht hilft es ja.
Englisch in der Fußgängerzone
Englisch war die Turbokatastrophe, und als wir die Arbeit eine Woche später zurückbekommen, bestätigen sich meine schlimmsten Erwartungen. Mit diesem dämlichen Fünfer habe ich mir den denkbar schlechtesten Start ins neue Schuljahr beschert. Mist! Zu Hause reiße ich meine Inliner aus dem Regal, lege Knie- und Ellbogenschützer an und düse aus der Einfahrt in Richtung Waldparkplatz. Auf dem Fahrradweg ist sonst niemand unterwegs. Umso besser. Ich rase, bis mir fast die Lunge platzt. Zu blöd, dass niemand die Zeit stoppt. Heute breche ich garantiert jeden Rekord. Ich keuche. Die Luft schmeckt schon ein bisschen nach Herbst, obwohl die Blätter an den Bäumen noch knallgrün sind. Meine Haare flattern wie ein Banner hinter mir her, gleich hebe ich ab und lasse das ganze blöde Englisch und alles andere hinter mir zurück. Sollen die da unten doch sehen, wie sie klarkommen. Rechter Fuß, linker Fuß, rechter Fuß, linker Fuß. Das graue Band des Radwegs witscht unter mir weg wie nichts.
»Yeah!«, rufe ich und breite die Arme aus. Oh nein! Wer hat denn den Ast da in den Weg gelegt? Ich rudere wie wild mit den Armen, aber es hilft nichts. Unsanftlande ich auf dem Pflaster. Zum Glück war ich diesmal nicht zu faul, die Schützer anzulegen. Wahrscheinlich kriege ich einen blauen Fleck an der Hüfte, aber das ist dann auch schon alles. Nur die ganze schöne Stimmung ist weg. Willkommen auf dem Boden der Tatsachen.
Mit einer Monsterlaune rolle ich heimwärts. In der Einfahrt, die genau zwischen dem Haus von Stadlers und unserem liegt, drehe ich noch mal voll auf und lasse mich mit Vollkaracho vom Mülltonnenhäuschen ausbremsen. Ich reiße mir die Ellbogenschützer ab und werfe sie in hohem Bogen in den Garten.
»Scheiß-Englisch!«, brülle ich laut und fange an, die Knieschützer abzureißen.
»Kaine Angs, ick spräche auch doitsch!«
Die Stimme kommt drüben von Stadlers. Ich drehe mich um. Da steht Flo mit einem Jungen. Das muss Baxter, der Cousin aus England, sein. Ich wusste gar nicht, dass er schon da ist.
»Sorry!«
, sage ich und stakse auf Inlinern zu den beiden rüber. »Ich meinte nicht dich. Ich hab heute bloß eine sauschlechte Englischnote rausbekommen.«
Baxter guckt etwas ratlos.
»She is bad in English«
, hilft Flo aus.
Ich nicke.
»Very bad!«
»Vielleischt ick kann dir helfen?«
, fragt Baxter und lächelt mich an.
»You are Lini, äh, du bist Lini. Ick hörte schon vieles iber dir.«
Er tippt sich mit dem Zeigefinger auf die Brust.
»I’m Baxter!«
»Yes, I know!«
, sage ich und schüttle ihm die Hand.
Obwohl ich noch hoch auf den Inlinern stehe, ist er nicht kleiner als ich. Er hat raspelkurze blonde Haare, die wie kleine Antennen in die Höhe stehen. Seine Augen sind genauso blau wie die von Flo. Ansonsten haben die beiden keine Ähnlichkeit. Baxter hat eine Menge Sommersprossen über der Nase und sein Mund ist so breit, dass er beim Lachen fast von einem Ohr zum anderen reicht. Dabei sieht man auch eine winzige Lücke zwischen den oberen Schneidezähnen. Süß irgendwie.
»Willst du nicht endlich die Dinger ausziehen?«, fragt Flo, der anscheinend keine Lust mehr hat, zu mir aufzuschauen.
Ich lasse mich auf die Gartenbank fallen und löse die Schnallen der Stiefel. Als ich die schweren Teile von den Füßen streife, bin ich
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