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Schussfahrt

Schussfahrt

Titel: Schussfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
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Sonnenterrasse bei einem Allgäuer Käsbrot und Weißbier zu sitzen.
Jo seufzte. Orte wie Steibis oder Ofterschwang heilten aufgewühlte
Zivilisationshektiker. Skifahren hätte auch Jos aufgewühlte Seele beruhigen
können. Der Schorsch, das konnte einfach nicht sein!
    Jo wollte es nicht
glauben. Ein, zwei Stunden über Pisten zu pflügen, das hätte ihren Kopf frei
gemacht, aber mitten im Urlaubsland hatte sie keine Zeit für Berge. Gerade
intonierte Jos Handy die Melodie des »Tell«. Patrizia war dran. »Ich sollte
dich daran erinnern, dass du mit Marcel einen Termin bei Zaumberg hast. Das
Interview, du erinnerst dich.«
    Jo seufzte aus
tiefstem, gequältem Seelengrund. Sie hätte fast ein Date mit der Allgäuer
Zeitung vergessen. Die wollten ein Statement von ihr zum geplanten Event Castle
haben und gleich ein Bild machen. »In situ« wie Journalist Marcel Maurer
formuliert hatte.
    Jo zahlte Gerhards
Weißbier und fuhr wieder ungewohnt langsam in Richtung Zaumberg. Sie legte Pink
Floyd ein. »Shine on you crazy diamond«, das war die Musik ihrer Jugend. Das
war so lange noch nicht her, aber ihr Berufsleben hatte inzwischen so
turbulente Züge angenommen, dass ihr die Kneipennächte im Pegasus Äonen
zurückzuliegen schienen.
    Jo bremste den
Subaru mit einem Quietschen. Marcel stand schon am Treffpunkt auf der
Zaumberger Straße hoch über dem Alpsee. Er winkte lasch. Der ganze Typ wirkte
irgendwie immer wie eine schlappe Fahne. Seine Schultern waren leicht nach
vorne gekippt. Er kam auf sie zu, Block und Kameratasche in der Hand. »Ciao,
Jo.«
    Jo nickte. Ein Maler
hatte seine Staffelei am Abhang aufgestellt und bannte den ausgehenden Winter
in feines Pastell. Ein Ort, zum Malen schön! Aber wie lange noch? Bühl
schmiegte sich ans Ufer, einige Langläufer zogen eine schnurgerade Spur am See
entlang.
    »Wahnsinn«, sagte
Marcel, »sie wollen unser Land verschandeln, eine Hure des schnellen Geldes
daraus machen. Ich sitz hier oft und schau über den See. Schade, dass ich nicht
malen kann wie der da!«
    Jo lächelte bitter.
»Ja, der hat wenigstens eine Erinnerung. Nicht mehr lang, und dann schauen wir
auf Zinnen aus Pappmaschee und ein paar tausend bunte Autos.«
    »Es ist ein
Wahnsinn«, wiederholte Marcel, »aber – versteh mich nicht falsch – der Tod von
Rümmele hat Sand ins Getriebe gebracht, das gibt den Gegnern des Event Castle
etwas mehr Zeit. Ich bin nicht traurig, dass er tot ist.«
    Jo schaute ihn
alarmiert an: »Und das aus deinem Munde! Du warst doch ein echter Rümmeleunterstützer.
Du bist doch der Inbegriff der Political Correctness. Du hast Rümmele doch
ständig in der Zeitung gehabt, wenn er irgendwo wieder einen Scheck überreicht
und den großen Gönner der Witwen und Waisen markiert hat.«
    »Ach Jo, musst du
denn immer gleich so ätzend werden? Du weißt doch selbst, wie das ist im
Lokaljournalismus. Ab einer Fünfhundert-Euro-Spende bekommt der Spender einen
Artikel mit Foto. Ja, du natürlich, du warst dir für solche Geschichten zu
fein. Du warst ja schon immer zu wirklich Höherem berufen.«
    Jo seufzte: Marcel
hatte ja Recht. Mit siebenundzwanzig hatte sie ihre Promotion abgeschlossen,
und das war ein bedrohliches Alter gewesen: nichts geleistet, nur einen Sack
voller Ideale im Gepäck. Der Sack hatte erste Dellen bekommen, als Jo ein
Volontariat bei der Allgäuer Zeitung angetreten hatte und feststellen musste,
dass dort für pulitzerpreisverdächtige Formulierungen kein Platz war. Auch
nicht für Traktate von über dreihundert Zeilen. Dreißigzeiler waren ihr
Geschäft gewesen – und Leserbriefe. Marcel hätte auch lieber auf Seite drei
geschrieben, aber Willensstärke war nicht seine herausragendste Eigenschaft. Er
war viel zu devot, fand Jo.
    Als die Stelle der
Tourismusdirektorin ausgeschrieben worden war, hatte sie zugegriffen. Die
Stellenbeschreibung hatte gut geklungen. Sie wollte was bewegen, und der Sack
mit den Idealen zog mit um ins neue Büro. Heute stand er fest verschnürt auf
dem Speicher und wurde immer brüchiger. Noch einen Umzug würde er wohl nicht
überstehen.
    Sie maulte Marcel
unangemessen laut an: »Na prima, deine hohe Meinung über mich kenne ich ja. Und
wenn es dich beruhigt, du kannst dich hämisch zurücklehnen. Dieser Tourismusjob
ist die Hölle. Von wegen Personalverantwortung, konzeptionelles Denken und neue
Wege im Tourismus gehen. Ich sitze zwischen allen Stühlen, und ich kann jeden
Moment in einen verdammt tiefen Graben dazwischen fallen. Von

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