Schuster und das Chaos im Kopf - Kriminalroman
er, hatte sogar ein kleines Bäuchlein. Nie hätte er gedacht, dass Silke sich mit so einem Würstchen einlassen würde. Aber er hatte nie auch nur im Traum daran gedacht, dass sie sich überhaupt mit jemandem einlassen würde. Er hatte Pläne bis an sein Lebensende gemacht, Pläne, in die er sie ganz selbstverständlich mit eingeschlossen hatte. Sie war seine Frau, er hatte sie sich ausgesucht, und so würde es bleiben, bis er alt, grau, vielleicht kahlköpfig und arthritisgeplagt sein würde.
Doch es war anders gekommen, und damit sollte er sich endlich abfinden.
Er kramte nach seiner Sonnenbrille, dann überflog er die Zwei-Zimmer-Wohnungen und kreuzte drei an, die infrage kamen.
Die Sonnenbrille auf der Nase, die Beine weit von sich gestreckt, nahm er seine Mütze ab und ließ sich die warme Maisonne auf den grau-blonden Haarschopf scheinen.
Die Mütze war schmuddelig, er sollte sie mal wieder waschen. Früher hatte sich Silke um seine Wäsche gekümmert, und als er in den Wohnwagen »gezogen« war, hatte er sich zunächst vollkommen überfordert gefühlt. Wie bitte wusch man Unterhosen? Socken? T-Shirts und Hemden? Handtücher?
Alles zusammen? Nach Farben getrennt? Nach Verschmutzung?
Die Sonne brannte auf seiner Kopfhaut, da wo die Haare spärlich wurden. Er schloss die Augen und überlegte, ob er wieder anfangen sollte, Bass zu spielen, so wie früher. Sein alter Bass stand noch bei Silke, irgendwo im Keller.
Der Gedanke beflügelte ihn etwas. Er stand auf, schnappte sich die Zeitung und verschwand auf dem Klo, um sich die Hände zu waschen. Dass sie aufgesprungen und rot waren, ignorierte er.
Die erste Wohnung, eine Dachgeschosswohnung, lag in Findorff. Er sprang die Treppenstufen hoch.
»Einfach reinkommen!«, hörte er eine weibliche Stimme.
Eine junge Frau, Mitte 20 vielleicht, kam ihm auf dem Flur entgegen. »Hey, ich bin Meike.« Sie streckte ihre linke Hand aus. »Wir hatten telefoniert. Sieh dich einfach um.«
Es gefiel ihm, dass sie sofort selbstverständlich zum Du übergegangen war.
Er half ihr, einen schweren Karton auf einen anderen zu stapeln und marschierte zuerst in die Küche, für ihn der wichtigste Raum einer Wohnung. Sie war klein, und die Einbauzeile hatte schon bessere Zeiten gesehen. Mit einem wehmütigen Seufzen musste er an die riesige moderne Einbauküche in seinem Haus denken.
Zum Teufel! Es ist nicht mehr mein Haus!
Er ging weiter ins Bad, nach der Küche der zweitwichtigste Raum, und probierte den Wasserhahn aus. Im Spiegel betrachtete er sich und runzelte die Stirn. Das wird ein hübscher kleiner Sonnenbrand, du Idiot.
Meike stand plötzlich hinter ihm. »Suchst du schon lange?«
Er drehte sich zu ihr um. »Um ehrlich zu sein, ich fange gerade erst an. Dies ist die erste Wohnung, die ich mir angucke. Ich nehme sie«, sagte er schlicht.
»Wie, du nimmst sie?«
»Ich nehme die Wohnung.«
»Du machst Witze.«
»Manchmal mach ich auch Witze, ja. Aber diesmal nicht. Wann kann ich einziehen?« Zum Teufel, warum nicht gleich Nägel mit Köpfen machen!
»Ich brauche noch ein paar Tage. Wie wär’s mit nächstem Montag?«
»Perfekt.«
Eine grau-weiß getigerte Katze kam aus dem Wohnzimmer, streckte sich und beäugte ihn neugierig und sehr kritisch.
Meike nahm sie hoch. »Das ist mein einziges Problem ...«
»Was?«
»Herr Meier. Ich kann ihn nicht mitnehmen. Ich ziehe zu meinem Freund und der hat ’ne Katzen-haarallergie. Ich muss Herrn Meier ins Tierheim geben.«
Herr Meier sah so aus, als wüsste er, dass auch er bald umziehen musste.
Schuster beugte sich hinunter, kraulte den Kater hinterm Ohr und sagte, ohne auch nur im Mindesten darüber nachzudenken: »Wenn du möchtest, nehme ich ihn.«
Sie sah ihn skeptisch, fast misstrauisch an. »Du willst ihn nehmen? Wieso?«
»Weil ich Katzen mag. Ich hatte selbst eine. Ein Lkw hat sie überfahren.« Er verzog das Gesicht, als er daran denken musste, wie er seinen etwas altersschwachen, halbtauben Kater Felix mit einer Schaufel von der Straße gekratzt hatte. Warum hatte der arme Kerl auch ausgerechnet einen Abendspaziergang auf der gut befahrenen Hemmstraße machen müssen?
Meikes Miene hellte sich deutlich auf, bestimmt nicht, weil Schusters arme Katze unter einen Laster gekommen war. »Und du willst ihn wirklich haben?«
»Wenn er mich auch will.«
Herr Meier sah so aus, als ob.
»Schön. Dann ziehe ich Montag ein.«
Schuster hatte also eine Wohnung mit Katze.
Er war stolz, dass er das durchgezogen
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