Schutzwall
Wort für Wort«, sagte er noch immer in sich hineingrinsend, »aber fast.«
Als er vor dem zweigeschossigen, gelben Ziegelhaus an der Ecke 32nd Street und Texas Avenue vorfuhr, hatte Dill noch immer den Geschmack der Quesadillas und der grünkörnigen Tamalis im Mund, die er zu Mittag gegessen hatte, und obendrein noch den der Avocados. Dill mochte Avocados nicht besonders, und es waren zu viele Schnitzel davon in seinem Salat gewesen. Er hatte sie aus schierer Höflichkeit gegessen, und jetzt wünschte er, er hätte es nicht getan.
Er saß in seinem großen Mietauto. Der Motor schnurrte leise, die Klimaanlage war so hoch eingestellt wie möglich, und er musterte eingehend das Haus. Die Erinnerung kam jäh zurück, nicht weil er schon einmal drinnen gewesen wäre, sondern weil er etliche Male daran vorbeigekommen war und es im Vorübergehen in seinem Gedächtnis gespeichert hatte.
Das Radio lief und war auf die Nachrichtenwelle eingestellt. Dill wartete, bis der Werbespot für Delta Airlines zu Ende war und die Sprecherin den Wetterbericht durchsagte. Sie hatte eine tiefe, kehlige Stimme, die dem Wetter offenbar ein sinnliches, laszives Flair verleihen sollte. Als der Werbespot vorüber war, hauchte sie die Zeitansage: Beim letzten Ton des Zeitzeichens war es genau 14.49 Uhr, die Temperatur betrug 41 Grad Celsius, die Luftfeuchtigkeit einundvierzig Prozent, und der Wind wehte zur Abwechslung als sanfte Brise mit einer Geschwindigkeit von acht Stundenkilometern aus Richtung Südwesten. Als sie in munterem Ton Vorschläge zu machen begann, wie man der Hitze am besten begegnen könnte, schaltete Dill die Zündung aus und brachte das Radio zum Verstummen.
Bevor er aus dem Wagen kletterte, verschloß er die Akte Jake Spivey im Handschuhfach. Die Akte enthielt nun auch noch die eidesstattliche Erklärung, deren Inhalt praktisch völlig wertlos war. Sie war von Spiveys unsichtbaren Schreibkräften vom Band abgeschrieben – auf einem Textverarbeitungsgerät – und von Daphne Owens bezeugt worden, die sich als öffentlich anerkannter Notar entpuppt hatte, deren Zulassung am dreizehnten Juni kommenden Jahres ablaufen würde.
Als Dill aus dem Ford stieg, verschlug ihm die trockene, sengende Hitze fast den Atem. Mit seiner über die linke Schulter geworfenen Seersucker-Jacke hastete er auf die einladenden, hohen, grünen Ulmen zu, die angenehm kühlenden Schatten versprachen. Das Versprechen wurde gebrochen, und die Einladung erwies sich als falsch, denn der Schatten verschaffte ihm keinerlei Kühlung. Dills Hemd war sofort durchgeweicht, und von seinem Kinn tropfte der Schweiß, als er schleppend die Außentreppe hinaufstieg. Auf dem schmalen Podest angekommen, benutzte er den Schlüssel, den ihm der Chef der Kriminalabteilung ausgehändigt hatte, steckte ihn ins Schloß, stieß die Tür auf und ging hinein.
Zuerst kümmerte er sich um die Klimaanlage und fand gleich an der Wand neben dem Eingang eine Reihe von Schaltknöpfen für den Thermostaten. Mit ihnen konnte man sowohl die Heizung als auch die Kaltluftzufuhr regeln. Er schaltete den Regler ein, drehte die Kühlung auf volle Leistung, ging mitten ins Wohnzimmer hinein, schaute sich um und stellte fest, daß nichts einen Hinweis darauf enthielt, daß seine Schwester hier je gelebt hatte.
Ebenso konnte hier auch sonst niemand gewohnt haben, es sei denn, er hätte jede Spur von eigener Persönlichkeit verleugnen wollen.
Natürlich standen im Wohnzimmer auch Möbel: eine dunkelgrüne, kastenförmige Couch; ein passender Sessel und ein Beistelltisch aus Chrom und Glas, der leer war bis auf eine Ausgabe des TV-Guide von vergangener Woche.
Auf dem Fußboden stand, da nirgendwo anders Platz dafür zu sein schien, ein kleiner Schwarzweißfernseher von Sony. Nirgendwo gab es Bücher, nicht ein einziges, was Dill merkwürdig fand, da er wußte, daß Felicity Fernsehen verabscheut und als Kind regelmäßig acht oder neun Bücher pro Woche gelesen hatte, manchmal sogar auch zehn, obwohl es sich dabei überwiegend um Jugendbücher gehandelt hatte, die sie dann im Alter von elf Jahren mit der Bemerkung, daß das meiste davon Mist wäre, ein für allemal aufgegeben hatte. Während der Sommermonate ihres zwölften Lebensjahres war sie dann zu den großen russischen Romanciers übergegangen, und nachdem sie auch mit ihnen abgeschlossen hatte, war ihr irgendwie eine Ausgabe von Santayanas Der letzte Puritaner in die Hände gefallen. Sie hatte im August eine volle Woche mit der
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