Schwaben-Angst
zuckte mit der Schulter. »Wovon handelt der? Ich sehe ihn zum ersten Mal.«
Er stellte sich neben sie, las ihr den Text vor.
Hemmer, wir haben dich gewarnt
.
Du weißt, um was es geht
.
Wenn du nicht hören willst, wirst du büßen
.
Deine Chance war da. Jetzt folgt die Tat
.
Es dauerte eine Weile, bis sie den Inhalt endlich zu begreifen schien. »Sie drohen.«
»Wer?«, fragte Braig. »Wer schreibt so etwas?« Wenn es noch irgendeinen Zweifel gegeben hatte, jetzt war der Beweis erbracht. Es handelte sich um denselben Täter wie bei Konrad Böhler.
Nicole Lieb sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an, wusste keine Antwort. »Hier, in seinem Schreibtisch?« Sie deutete auf die geöffnete Schublade, zog die Schulter hoch. »Was soll das?«
»Die Ankündigung des Mordes. Braig zog seine Plastikhandschuhe aus der Tasche, hob das Blatt vorsichtig hoch.
Vergeblich. Der Ordner enthielt keine weiteren Papiere.
»Sie sehen das zum ersten Mal?« Braig konnte buchstäblich verfolgen, wie bei ihr der Groschen fiel.
»Ich kenne es nicht. Keine Ahnung.«
Er musterte ihr Gesicht, sah das fahrige Hin- und Herhuschen ihrer Augen, glaubte ihr. »Sie wissen nicht, wann er es erhielt?«
Nicole Lieb schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid. Ich, ich …« Sie stotterte, wusste nicht weiter.
Braig schaute sich um, suchte den Papierkorb. Er war leer, nicht ein Staubkorn in seinem Inneren. »Wer leert den Müll?«
»Ich.«
»Jeden Tag?«
»Abends, ja.« Sie war jetzt hellwach, antwortete sofort.
»Wann haben Sie ihn zuletzt geleert?«
»Am Freitag, wie üblich.«
»In den Müll?«
Nicole Lieb schüttelte den Kopf.
»Wohin dann?«
»Wir haben eine große Papiertonne, zusammen mit anderen Firmen.«
»Wo steht sie?«
»Hinter dem Haus.«
»Wissen Sie zufällig, wann sie geleert wird?« Er musste den Umschlag finden, musste versuchen, den Absender irgendwie zu lokalisieren.
»Einmal die Woche. Aber an welchem Tag?« Sie zuckte mit der Schulter.
»Wer nimmt die Post entgegen?«, drängte er.
»Je nachdem. Mal ich, mal Bernie selbst.«
»Sie sortieren sie nicht vor?«
Nicole Lieb schüttelte den Kopf. »Je nach Lust und Laune. Er nimmt sich gern alles selbst vor, sortiert, wirft weg, sucht aus. Wenn die Zeit reicht, lege ich ihm alles direkt auf den Schreibtisch.«
»Sie erhalten viele Sendungen?«
»Sehr viele, ja. Bewerbungen und so.«
Braig nickte. So konnte es gewesen sein, falls der Brief per Post gekommen war. Sie hatte den ganzen Packen entgegengenommen und direkt bei ihm abgeladen.
Aber die Briefe davor? Hemmer musste vorher schon Drohschreiben erhalten haben, so viel ging aus dem Inhalt des Textes deutlich hervor.
»Sie haben noch nie so eine Drohung gesehen? Auch einen anderen, vielleicht größeren Brief nicht?«
Tränen rannen wieder über ihre Wangen, als sie heftig den Kopf schüttelte. »Ich hätte doch reagiert, die Polizei informiert«, schluchzte sie.
Braig nahm sein Handy, gab im Amt Bescheid. Er erklärte dem Kollegen, wo er war, diktierte die Adresse. »Ich brauche mindestens zwei Leute, die hier alles auf den Kopf stellen. Vielleicht finden wir einen der früheren Drohbriefe. Die Sache eilt.«
Er steckte das Handy weg, fragte nach der Papiertonne. Nicole Lieb beschrieb ihm den Weg, begleitete ihn zur Tür. Braig behielt seine Plastikhandschuhe an, eilte in den Hof. Die blaue Tonne war nicht zu übersehen. Eingerahmt von zwei grünen Müllcontainern stand sie vor der Hauswand. Er öffnete den Deckel, erschrak über den Papierberg, der sich vor ihm auftat. Zeitungen, Kataloge, Kartonreste, Aktenschnipsel, alles bunt durcheinander. Braig war gerade dabei, einen ersten Packen nach oben zu ziehen, als sein Handy läutete. Er nahm eines der losen Blätter, wischte seine Hände daran ab, aktivierte das Telefon. Neundorf war am anderen Ende.
»Störe ich?«, fragte sie.
»Nicht im Geringsten.« Er erklärte ihr, was er entdeckt habe und womit er gerade beschäftigt sei.
»Na prima, dann geht es endlich an zwei Fronten vorwärts«, kommentierte sie.
»Du hast Neuigkeiten?«
»Ich glaube schon. Vielleicht haben wir Glück.«
»Erzähl!« Er wischte seine Hände nochmals sauber, trat mehrere Meter von der Tonne weg. »Frau Böhler?«
»Ich glaube, ich verstehe deine Skepsis«, sagte Neundorf, »die Frau ist wirklich mit Vorsicht zu genießen. Sie ist zu auffällig unauffällig. Wenn du verstehst, was ich meine.«
»Zu auffällig unauffällig«, wiederholte er. So konnte man Marion Böhler
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