Schwaben-Filz
Nachricht über einen Grobe, Rolf …«
»Grobe, Rolf?« wiederholte Braig. »Ja, und?«
»Grobe, Rolf«, bestätigte Stöhr. »Hm, die Kollegen melden den Fund der Ausweispapiere. Vor wenigen Minuten, gegen 10.05 Uhr. Grobe, Rolf, wohnhaft in Esslingen …«
»Ausweispapiere auf den Namen Rolf Grobe? Wo wurden die gefunden?«
»Im Park von Schloss Hohenheim.«
Braig hatte Mühe, Stöhrs wie die Einzelteile eines Puzzels vorgetragene Aussagen zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufügen. »Im Park? Irgendwo in der Landschaft? Verstehe ich das richtig?«
»Hm, nicht ganz«, antwortete der Kollege.
»Ja, wo denn dann?«
»In der Jacke einer Leiche. Einer männlichen Leiche«, erklärte Stöhr kurz angebunden.
»Wie bitte?«, rief Braig. »Einer männlichen Leiche?« Er sah, wie Söderhofer den Kopf zur Seite wandte und ihn überrascht fixierte, dann abrupt auf die Bremse trat, spürte schmerzhaft den Druck des Gurtes auf seinem Leib. Der Wagen kam blitzschnell, mit schrill kreischenden Bremsen zum Stehen.
Als er nach vorne blickte, stellte er fest, dass sie nur noch eine Hand breit Luft von der Rückfront eines gewaltigen Lastwagens trennte.
»Himmelherrgottsakrament«, schimpfte der Staatsanwalt.
Braig sank mit stechenden Seitenschmerzen in den Sitz zurück, atmete tief durch. Hinter ihnen drückte irgendein Irrer wie verrückt auf die Hupe.
4. Kapitel
Dr. Helmut Renck hatte Neundorf mit frisch aufgebrühtem Kaffee erwartet. »Wenn sich schon eine leibhaftige Kommissarin vom Landeskriminalamt zu mir bemüht …«
Sie war, obschon etwas in Eile, auf sein Angebot eingegangen, hatte sich von dem Mann in einen großen, komfortabel ausgestatteten Wohnraum geleiten lassen, dort in einem der ausladenden, dunkelblauen Polstersessel Platz genommen. Die weitläufigen Fenster eröffneten einen prächtigen Ausblick auf das gesamte Hochschulareal Reutlingens mit seinen Lehr- und Verwaltungsgebäuden, den Wohnheimen sowie den am Hang davor errichteten Siedlungskomplexen. Etwas weiter im Hintergrund erhob sich der markante Kegel des Georgenbergs.
Neundorf griff nach der frisch eingeschenkten Tasse, die der alte Herr ihr reichte, fragte ihn nach seinen Beobachtungen im Garten des Nachbarn. Dr. Renck wohnte »seit seiner Geburt«, wie er ihr gegenüber betont hatte, »nur unterbrochen von sechs Monaten 1944/45« die er, zum Schutz vor den Bombardements der Alliierten nahe Trochtelfingen auf der Alb zugebracht hatte, wenige Häuser weiter in derselben Straße wie Götz Hellner. Selbst zum Studium nach Tübingen war er jeden Tag von hier aus gestartet – mit dem Fahrrad, wie er betonte. »Ein gutes Wohnviertel mit lauter anständigen Leuten.«
Lauter anständige Leute? Neundorf war hellhörig geworden. Das waren fast immer die Schlimmsten, wusste sie. Nach außen eine saubere Fassade präsentieren, was sich dahinter abspielte, ging niemanden etwas an. Zu oft während ihrer Ermittlungen war sie auf solche Verhältnisse gestoßen, zu häufig auch deren Opfern begegnet, um solchen Pauschalurteilen noch Glauben schenken zu können. Sie war dennoch ruhig geblieben, hatte darauf verzichtet, das Weltbild des Mannes zu kritisieren.
»Ich lief an Hellners Garten vorbei, als ich ein Geräusch hörte. Ich blieb stehen und schaute in die Richtung, aus der es kam. Da sah ich ihn. Er hatte seine Hände am Hals der Frau, schüttelte sie hin und her und würgte sie. Ich hörte noch, wie sie röchelte.«
»Um wie viel Uhr war das?«
»Kurz nach fünf. Heute Morgen.«
»Sie haben gehört, wie die Frau röchelte?
»Klar und deutlich, ja.« Dr. Renck nickte eifrig mit seinem Kopf.
»Und Sie haben Götz Hellner als Täter erkannt.«
»Ja, selbstverständlich. Streitet er es denn ab?«
Neundorf ging nicht auf die Frage ein. »Aber um fünf ist es doch noch dunkel.«
»Das ist kein Problem.« Ihr Gesprächspartner ließ sich nicht beirren. »Die Straßenbeleuchtung. Das Licht fiel in den Garten. Ich konnte ihn genau sehen.«
»Sind Sie jeden Morgen so früh auf den Beinen? Sie müssen nicht mehr arbeiten …«
»Aber mich fit halten«, betonte der Mann. »Wer rastet, rostet, wissen Sie?«
Neundorf trank von dem Kaffee, begnügte sich mit einem Schluck. Er war gut, sehr gut sogar, aber verteufelt stark. »Sie halten sich also fit und gehen deshalb so früh schon aus dem Haus.«
Dr. Renck nickte zustimmend. »Jeden Morgen, ja.«
»Und Sie sind sich absolut sicher, dass Sie auch heute wieder um die gleiche Zeit unterwegs
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